: Absolvierte Epochen
Blohm, 59, und Voss, 48, haben die wilden Zeiten hinter sich, planen aber bei einem guten Tropfen nach wie vor sorgfältig ihr Abendprogramm. Für Donnerstag ist eine Lesung annonciert, eine, die die beiden anregt, irritiert, erregt und dazu bringt, mit Totschlagargumenten aufeinander loszugehen
Blohm: Wohin soll ich mit ihnen gehen? „Verschwende Deine Jugend“? Woher soll ich wissen, ob ich dort nicht meinen Ruhestand verschwende?
Voss: „Verschwende Deine Jugend“ ist ein bemerkenswertes Buch.
Blohm: Warum soll ich mir anhören, wie jemand aus einem Buch vorliest, wenn ich selbst lesen kann?
Voss: Jürgen Teipel, der Autor, wird auch Bilder zeigen, Musikbeispiele bringen und die Originalstimmen der Personen benutzen, die in seinem Buch vorkommen.
Blohm: Aber was interessiert ausgerechnet Sie, was ein paar in die Jahre gekommene Lebemänner und -frauen erzählen?
Voss: Punk war eine Form des gesellschaftlichen Protests, die nicht nur meine Generation maßgeblich geprägt hat.
Blohm: Ich hatte Sie bislang für einen recht vernünftigen Zeitgenossen gehalten.
Voss: (trotzig) Ich habe nicht immer so gelebt.
Blohm: Und da wollen Sie sich nun in der Rückschau aus beruhigender Distanz ihrer wilden Jugend erinnern? Also den Verfahren der Kulturindustrie auf den Leim gehen, gegen die Sie einst opponierten?
Voss: Sie und ihr altes Totschlagargument! Nur weil jemand ein Buch verkauft, heißt das doch nicht, dass das Buch schlecht ist.
Blohm: Das Totschlagargument, mein lieber Voss, kommt im Moment seiner Erwähnung gleichsam zu sich selbst – was soll man darauf noch sagen?
Voss: Sie werden es mir erzählen...
Blohm: (nimmt einen tiefen Schluck aus dem Rotweinglas) Sehen Sie, einzig die Tatsache, dass sie dabei waren, beantwortet nicht die Frage, warum ich nicht einfach auf die TV-Fassung von Guido Knopp warten sollte.
Voss: Wie soll die denn heißen? „Hitler und die, die Nazi-Symbole benutzt haben, aber bestimmt keine Nazis waren“? Dazu raunt die Stimme von Robert de Niro Texte der Fehlfarben...
Blohm: Wo ist der Unterschied? Beide Autoren scheinen höchst erfolgreich ihr Geschäft mit einer absolvierten Epoche zu machen. Bei diesem Teipel tritt zu allem Überfluss der Widerspruch zum rebellischen Geist der Punk-Bewegung hinzu, die nun sogar schon im Museum vorgeführt wird - ich bitte Sie! Und der Bürgermeister von Düsseldorf lässt Punker von den Treppen desselben Museums vertreiben, in dem die unschädlich gewordene Vergangenheit abgefeiert wird.
Voss: (empört) Das sind doch keine echten Punks!
Blohm: Ach! Woher wollen Sie das denn so genau wissen?
Voss: Mein Vater war ja gestorben, als ich 17 war. Im Herbst 1979 habe ich dann viel Geld geerbt. Ich habe sofort geheiratet. Mit 18. Zwei Kinder gemacht. Afred Hilsberg hatte mich noch gewarnt. Aber es war eben die erste Liebe.
Blohm: Sie haben Geld gehabt?
Voss: Ich ging nach Hamburg, weil ich es in Hastedt nicht mehr aushielt. Ich wollte studieren. Aber Sie wissen ja, wie das ist. Ich wollte was vom Leben. Hilsberg jedenfalls wollte ein Platte mit uns machen.
Blohm: Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie sich als Musiker verdingt haben...
Voss: So weit kam es nicht. Wir hatten eine Band, das heißt, wir wollten unbedingt eine Band sein. Wir hatten sogar einen Namen...
Blohm: Sogar?
Voss: Immerhin! Das konnte damals nicht jede Band von sich sagen. Jedenfalls lernten wir eines Abends im „Krawall 2000“ Hilsberg von der Plattenfirma kennen. Der meinte eines Morgens, er würde eine Platte mit uns machen.
Blohm: Ich nehme an, dieser Teipel wird auch bei Ihnen angerufen haben, um Sie als Zeitzeugen zu befragen...
Voss: Nein, das ist es ja gerade!
Blohm: Was denn?
Voss: In dem ganzen Buch! Kein Wort über HDW!
Blohm: HDW, Voss?
Voss: Ja, Blohm, wie die Werft. Howald Deutsche Werft. Damit wollten wir die deutsche Kriegswirtschaft anprangern, Monopolkapitalismus und so weiter.
Blohm: Jetzt sind sie sauer auf Herrn Teipel, weil er ihren Beitrag zum Umsturz nicht gewürdigt hat, und wollen sich die Laune bei einem Dia-Abend verderben?
Voss: Ich möchte einfach nur etwas klarstellen.
Blohm: Wenn es Ihnen hilft, ihre Vergangenheit endlich zu bewältigen, werde ich Ihnen zur Seite stehen.
Jürgen Teipel stellt sein Buch „Verschwende Deine Jugend“ am Donnerstag, 21.11., um 20 Uhr im Lagerhaus vor
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen