: Generation Gott
DAS SCHLAGLOCH von MATHIAS GREFFRATH
McKinsey berät neuerdings die Kirchen. Vorerst nur in Finanzfragen. Aber das muss ja nicht so bleiben. Jedenfalls, wenn es nach Florian Illies, dem Erfinder der „Generation Golf“ geht. Die Berater müssten die Kirchen vor allem auf ihr Kerngeschäft orientieren, auf die „intangible assets“. Und dieses „Alleinstellungsmerkmal“ sei nun einmal: „die Kraft des Glaubens“.
Erforderlich werde dieser spirituelle Relaunch durch die Tatsache, dass „das 21. Jahrhundert … zu dem Jahrhundert werden wird, in dem die umstürzende Kraft nicht mehr die Ideologie ist, sondern die Religion“. Und dies nicht nur wegen „der Bedrohung des Islam“, sondern auch durch „eine bald eine Milliarde umfassende Christenheit aus der Dritten Welt …, die mit einer ungeheuren Vitalität … eine Neudefinition des Christentums fordern werden, die in ihrer Wucht nur mit der Reformation vergleichbar“ sei (FAZ vom 16.11.)
Oh Gott. Wie man weiß, kommt er immer ins Spiel, wenn man nicht mehr weiter weiß. Das war schon bei den Germanen so, als sie sich den Donner nicht erklären konnten, und bei Moses, als er nicht wusste, wie er den Goldrausch beenden sollte. Heidegger seufzte, nur ein Gott könne uns retten, Säufer in Finnland und anderswo landen bei der Heilsarmee, gekränkte Araber im Märtyrerwahn, weiße Absteiger in den USA greifen in Seinem Namen zu Dynamit, und die Ölclique im Weißen Haus lässt sich von Ihm das Mandat zur Weltherrschaft verleihen.
Aber auch wenn der Erfinder der Generation „Guten Gewissens Genießen“ (Florian Illies) verschämt und weitsichtig eine präventive Gegenreformationstheologie anregt, die in armen Seelen dieser Welt die „Kraft des Glaubens“ über säkulare Missgunst siegen lässt; auch wenn die Neumarkt-Armen unter seinen Generationsgenossen statt der Therapeuten nun nach preiswerteren Bearbeitern ihrer „religiösen Sehnsucht“ suchen und ihre Kinder zu erstklassiger „Wertevermittlung“ statt auf teure Internate in staatlich geförderte Konfessionsschulen schicken – es wird in Europa keine „Rückkehr der Religion“ (Literaturen 11/02) geben, auch wenn das Kursbuch behauptet „Gott ist tot und lebt“. Das spielt sich Gott sei Dank nur im Feuilleton ab, getreu Altmeister Taubes’ Diktum: Mensch sei schlau, bleib im Überbau! Die nachwachsende Generation ist nüchtern, und, wenn arbeitslos, sucht sie die Spiritualität in der Flasche.
Die Risse in der Welt sind nicht mit dem Kitt von gestern zu schließen, auch nicht, leider, leider, indem man reformistisch-gescheit, wie Habermas in der Paulskirche, die „semantischen Potenziale“ der religiösen Verheißungen und Mahnungen zur Notbremse gegen Gentechnik und die Amokläufe „halbierter Aufklärung“ umschmieden will. Es hilft nur eins: den Weg der Säkularisierung zu Ende zu gehen.
Ein Prozess, der ziemlich genau 1989 unterbrochen wurde. Als irgendwo in Berlin-Mitte auf einer Wand zu lesen war: „Gott ist tot. Marx“ und darunter „Marx ist tot. Gott“. Und der Doppelspruch heißt ja wohl: Nicht nur der Glaube, „dass ein Gott die Geschicke der Welt im Großen leite und, trotz aller Krümmungen im Pfade der Menschheit, sie doch herrlich hinausführe“ ist hinüber, sondern auch das Zutrauen in Nietzsches Folge-Projekt, dass nun „die Menschen sich ökumenische, die ganze Erde umspannende Ziele stellen“ müssten, ist uns abhanden gekommen. Etwa: dass die Weltgesellschaft „den Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter gemeinschaftliche Kontrolle bringen, ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen“ könne. Kein Paradies, aber ziemlich nahe dran, und Marx hat das schon ganz gut gesagt, aber er war nicht der Erste. Und sein Projekt (und das von Rousseau und Kant und Adam Smith und all den anderen) war keine „Ersatzreligion“, sondern die säkulare Übersetzung dessen, was die Religionen – die ja nicht mythische Gespinste allein, sondern Welterkenntnisinstrumente vor der Wissenschaft und Moralsysteme vor dem Recht waren – immer schon als Polarsterne der Geschichte gesehen hatten: eine gerechte Welt und ein naturgemäßer Umgang mit der Natur.
Die zivilen Religionen haben heute eine schlechte Presse. Und mit dem Tod des falschen Kommunismus ist auch sein Pendant, die amerikanische Idee der „family of man“, die am Anfang der UNO-Welt stand,verblasst. Denn die ist – siehe die jüngsten Statistiken der WTO, des IWF und der Weltbank – mit ungezügeltem Kapitalismus nicht kompatibel.
Back to Zero also. Aber die Antwort auf das neue Rom wird keine Rückkehr der Religion sein, ob nun innerlich oder sozialrevolutionär. McWorld wird jeden Dschihad über kurz oder lang kaufen oder kaputtbomben. Sondern ein stoisches Festhalten an Aufklärung: Es ist möglich, Afrika einen Lastenausgleich für erlittene Kolonialunbill zu zahlen, den Palästinensern einen Staat zu geben, mit den Erlösen des arabischen Öls den Nahen Osten zu demokratisieren, Lula eine Chance zu geben, das Rio-Abkommen zu verschärfen, die Solare Revolution zu finanzieren. Es ist möglich, einen gerechten und ökologisch tragbaren Welthandel und einen globalen Marshallplan zu organisieren, wie ihn jüngst wieder eine Million Menschen in Florenz forderten. Es ist möglich, gegen die religiösen Fundamentalismen der Bin Ladens, der Ölmafia oder der gläubigen Konsumenten. Und kein Gramm Religion dazu nötig, nur das obsessive Festhalten an den Gründungsurkunden der Demokratie. Und Gott gefällig wäre es überdies.
Aber es braucht dazu keine messianische Kraft, auch keinen am Bild der geknechteten Vorfahren geschulten Hass. Auch Benjamin ist tot. Eher schon die nüchterne Einsicht, dass die „reichen Länder“ nur mit einem weltweiten Kreuzzug für Gerechtigkeit und Freiheit auf mittlere Sicht „ihre eigene Haut“ werden retten können. Das schreibt der Atheist und Sozialdemokrat Richard Rorty, gegen die religiösen Eiferer im Weißen Haus, und er wünscht sich, etwas sehr ökonomievergessen, den großen „charismatischen Internationalisten Joschka Fischer“ an der Spitze einer solchen Bewegung (Merkur 11/02). Nun ja, Professor Rorty hat Humor, aber seine Idee einer von EU und USA organisierten Weltregierung riecht arg nach einer Koalition der weißen, reichen Rasse.
Denken wir also weiter: Stellen wir uns Joschka Fischer als Chef von Attac vor, Arundhati Roy als Sprecherin der Weltregierung und Manu Chao als ihren Troubadix, oder das Kronos Quartett als Hofkapelle. Das wäre eine echte Alternative zur „Rückkehr der Religionen“. Das Einzige, was sie mit ihr gemein hätte, wäre, dass man zur Zeit einen langen Atem braucht, um eine solche – oder ähnliche – Vorstellung zur Richtschnur des eigenen Handelns zu machen. Die ganze Aufklärung muss auch noch die Parusieverzögerung, das elende Warten auf den Messias, säkularisieren. Sie heißt dann: Weitermachen mit Politik, auch wenn die Herren der Weltin apokalyptischen Wahn, die jungen Besserverdienenden in religiösen Kitsch und die Sozialdemokraten in die Todsünde untätiger Melancholie regredieren.
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