: Lachfalten und saubere Fingernägel
Von Körperflüssigkeiten, Gummibällen, den Eigenschaften der Liebe und von Aids: Bremer DebütantInnen informierten sich im CinemaxX über alles, was dazugehört und gestatteten Einblicke in die Welten revoltierender Hormone
„Haste auch‘n Schwulen-Kondom?“ „Nee, ich hab‘ Bio-Gleitgel.“ „Echt grob, die Kondome.“ „Schieb‘s dir in‘n Arsch.“ Gestern vorm Cinemaxx am Bremer Bahnhof. Horden Halbwüchsiger stehen herum, kichern, grinsen, lassen Hüllen fallen. Plastikhüllen, winzig kleine, darin eine Portion Bio-Gleitgel. Gemeinsam mit einem „feuchten Kondom, extra stark, aus Naturkautschuk-
latex mit Reservoir“ war es an den vergangenen zwei Tagen in Massen verteilt worden an die, die gerade anfangen mit der Liebe. Tausende von Bremer SchülerInnen zwischen elf und 17 Jahren sind zu den JugendFilmTagen gekommen, gucken Filme über die Themen Sexualität, Liebe, Freundschaft und HIV/Aids, rangeln sich um Kondome und erlauben Einsichten in Welten durchgeknallter Hormone.
Aber sie lassen sich bitten. „Wart ihr schon mal verliebt?“, fragt Britta Weyers. Sie tourt für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchs Land und staunt immer wieder, dass Kids ihr auf die Frage, mit welchem Verhütungsmittel sie sich vor Aids schützen könnten, antworten: „Mit der Pille.“
Ein paar wenige Bremer haben das auch gebracht, aber die Gruppe, die jetzt vor ihr steht, bringt erst mal gar nichts. Außer Kichern, das blinkende Zahnspangen hervorscheinen und die Pickel unter dem Abdeckstift noch ein bisschen röter glühen lässt. Woran man es denn merke, will die Theaterpädagogin wissen. „Schmetterlinge im Bauch“, sagt eine Lehrerin, „man vertüttelt alles“, ein Lehrer. Die Kids grinsen inzwischen, stupsen sich mit dem Ellenbogen in die Seite und nuscheln sich spuckereiche Worte ins Ohr. Na gut, nächste Frage. Was ist homosexuell, was hetero- und was bisexuell, fragt Britta Weyers. „Lea, komm“, wispert ein Mädchen und zupft seine Freundin am Ärmel. „Nee“, sagt die und versucht in den Mantelfalten der anderen abzutauchen, ohne Erfolg. „Komm schon“, hilft Britta Weyers nach. „Äh“, sagt die Angesprochene und guckt in höchster Not, zugleich von eigentümlichem Lachzwang befallen, an Weyers genau vorbei. „Äh, also, das ist gleichgeschlechtlich.“ „Genau“, triumphiert die Pädagogin. Der Rest, hetero und bi, anderes Geschlecht und beide, ist schnell ausgesprochen.
„Guckt mal den Ralf an“, macht Weyers weiter und deutet auf ihren Kollegen am Stand nebenan, der über unzählige Blöcke, rote Schleifen, Radiergummis, Postkarten und T-Shirts wacht, „ist der Ralf homosexuell, hetero oder bi?“ Der Ralf kommt ein paar Schritte näher. „Na, was glaubt ihr von mir?“ „Weiß nicht“, kichert Marie, 13. „Ich sach‘ jetzt gar nichts“, sagt Björn, 14. „Homosexuell?“, fragt schließlich Raike, 14, und klingt schüchtern. „Genau, der Ralf ist schwul“, sagt Britta Weyers, „und ich?“ „Heterosexuell“, sagen die Kids und klingen sicherer. „Stimmt“, sagt Weyers, „aber woran habt ihr‘s gemerkt. Woran merkt man, dass der Ralf schwul ist und ich hetero?“ Die Kids begucken den Ralf. „Ohrring“, flüstert eine, „die Art“, eine andere. „Und ich?“, insistiert Weyers. Achselzucken in der Runde, dann kommt: „ganz normales Auftreten.“ Das findet der Ralf „eine Frechheit“, seiner Hetero-Kollegin „ganz normales Auftreten“ zu bescheinigen und ihm selbst nicht, aber er lacht dabei.
„Erst mal muss man sich distanzieren“, kommentiert er das „Ey, Alter, bist du schwul?“– „Ey, guck mal, der is’ schwul“–Gekreische im Foyer, denn, weiß Ralf, „mit 16 ist man nicht schwul.“ Wer’s doch ist, leidet oder braucht eine Menge Mut. Oder beides.
Almut, 17, und Julia, 16, haben derweil andere Probleme. Obwohl – nicht wirklich sie, sondern ihre „besten Freundinnen“. Nach denen nämlich fragt Britta Weyers immer, wenn sie Fragen zum Rotwerden stellt – so antwortet es sich unbefangener und man muss sich als Fragerin auf das unbedarfte Auskunftsbegehren, ob der Teen schon mal ein Kondom benutzt hat, kein unwirsches, aber hochrotes „Nächste Frage!“ abholen. Wenn jetzt also die beste Freundin schwanger wäre, was würde man ihr raten, fragt die Pädagogin. „Zu ProFamilia gehen“, überbrüllt Almut alles Gekicher. „Auf keinen Fall die Ausbildung abbrechen“, schiebt Julia hinterher. Die Gruppe einigt sich, im Fall der besten Freundin das „Pro und Contra“ zu sammeln und dann „keine Bauchentscheidung“ zu fällen.
Es geht außerdem um Machos – von Teens definiert: „Immer eine Hand im Schritt“ und „Grunzen“ – und um Attraktivität. „Lachfalten und Arsch“, sagt Almut, „Lachfalten finde ich saugeil.“ Der Rest ist baff angesichts solch dezidierter Ideale. „Ausstrahlung allgemein“ vom Mädchen eins weiter kann die Falten nicht toppen. Dann kommt Henrike, 17. Was ihr an einem Jungen gefällt? „Saubere Fingernägel.“
Susanne Gieffers
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