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Invasion von Schülern im Hohen Haus

JiP 2002: Jugendliche aus Bremen und Bremerhaven übernahmen für drei Tage das Zepter in der Bürgerschaft, hielten Plenar-Sitzungen ab und verfassten Resolutionen zu den Themen Bildung, Umwelt, Finanzen und Drogen

Das von Bürgerschaftspräsident Christian Weber erfundene Projekt „Jugend im Parlament“ war im Dezember 2000 erstmalig mit großem Erfolg durchgeführt worden. Es soll Jugendlichen ermöglichen „Politik am eigenen Leib kennenzulernen“.

Auch dieses Jahr gab es wieder mehr Bewerbungen (148), als Plätze (100) frei waren. Umso verwunderlicher erscheint es, dass 11 Abgeordnetensitze leer blieben... Man möge den Abwesenden verzeihen oder nicht. Fakt ist, dass sie sich einiges haben entgehen lassen.

Am ersten Tag waren die frischgebackenen Jungparlamentarier noch sehr ruhig. Es fiel auf, dass viele Jüngere dabei waren, sogar unter- und oberhalb der vorgegebenen Altersgrenzen (15-21). Ob es sich hierbei um einen Fehler des Organisationsteams oder eigene Schummelei der Teilnehmer handelte, soll hier nicht weiter (nach)verfolgt werden. Entscheidend ist, in welcher Form dies den Charakter der Veranstaltung prägte. Dazu ist zu sagen, dass einige der Jungabgeordneten bisweilen schon gelangweilt wirkten. Anwesenden Teilnehmern von JiP 2000, von denen diesmal einige als Helfer fungierten, fiel außerdem auf, dass sich die Neu-Abgeodneten mehr Pausen gönnten als jene zwei Jahre zuvor. Nils Christian Arnold meinte dazu: „Wir haben die Zeit mehr ausgenutzt.“ Dass der Zeitdruck sich zum Problem entwickeln würde, war abzusehen gewesen, denn drei Tage sind einfach zu wenig.

Am ersten Tag wählten die Jugendlichen also ihr Präsidium. Für das Amt des/der PräsidentIn stellten sich elf Personen zur Wahl, die mehr oder weniger kompetent erschienen. Einer von ihnen wirkte allerdings etwas deplatziert und es wurde auch nicht ganz ersichtlich, warum er das Amt ausüben wollte: „Ich möchte gerne oben sitzen, um von allem was mitzukriegen. Also, eigentlich... Ich finde keine Worte.“ Alles klar! (Als es um die Atomfrage ging, konnte er sich übrigens wieder nicht zurückhalten und verkündete, dass Atomkraftwerke sicher seien, weil sie doch aus Beton gebaut sind!) Ein anderer Kandidat warb für sich mit den Worten: „Wenn ihr mich wählt, gibt`s auf jeden Fall Kekse in der Cafete. Wenn ihr mich wählt fahrt ihr richtig!“ Tatsächlich wurde jedoch die 18 jährige Katharina Lüllmann vom Kippenberg-Gymnasium zur Präsidentin gewählt. Ihr zur Seite standen Zora Hocke (17, Rübekamp) und Hanna Lokys (16, Rübekamp). Schriftführer wurden Levke Englert (15, Wilhelm-Raabe-Schule, Bremerhaven) und Hagen Böttcher (20, Zivi).

Der zweite Tag von JiP wurde hauptsächlich durch sinnlose bürokratische Abstimmungen vergeudet. Denn gleich zu Beginn musste über einige Anträge (z.B. Misstrauensvotum gegen die Präsidentin) abgestimmt werden, so dass die Aktuelle Stunde auf den Nachmittag verlegt wurde.

Am dritten Tag erfolgte die mühsame Aufgabe über die selbstverfassten Resolutionen abzustimmen. Im Allgemeinen hatten die einzelnen Ausschüsse gute Arbeit geleistet, doch die des Finanzausschusses schnellte am Ziel wohl etwas vorbei: Anstatt sich mit der Umverteilung der Bremer Finanzpolitik zu befassen, forderten sie in ihrer Resolution den Senator für Wirtschaft und Häfen auf, Handelsbeziehungen zu Taiwan aufzubauen. Das hat nichts mit Jugendlichen zu tun, fand die Mehrheit der Jungparlamentarier und stimmte gegen die Resolution. Intensive Beschäftigung und großes Lob fanden vor allem der Drogenausschuss, der Umweltausschuss und der Ausschuss zur Bildung. Der Drogenausschuss fordert die Legalisierung von staatlich kontrolliertem Cannabis und eine damit verbundene moderne Suchtprävention.

Der Umweltausschuss formulierte einige sehr sinnvolle Forderungen bezüglich Revitalisierung von Industriebrachen, Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und Risiken durch Mobilfunkanlagen. Außerdem fordert er den sofortigen Stopp aller Atommülltransporte durch das Land Bremen. In diesem Zusammenhang wurde auch darauf verwiesen, dass in öffentlichen Gebäuden, trotz des kommenden Ausstiegs, weiterhin Atomstrom genutzt wird. Öffentliche Gebäude gerieten ferner durch gewisse umweltfeindliche Missstände in Verruf und büßen somit ihre Vorbildfunktion ein.

Der Bildungsausschuss prangerte schließlich noch einmal die katastrophale Situation an Bremer Schulen an, die nicht erst seit Pisa bekannt ist. Er fordert unter anderem kleinere Klassen, neun gemeinsame Schuljahre und Lernentwicklungsberichte bis zur 10. Klasse. Er befürwortet mehr Absprache zwischen Lehrern untereinander und Lehrern und Schülern. Außerdem fordert er die Abschaffung des Beamtenstatus.

Nach der Abstimmung über die Resolutionen sorgten zwei weitere Anträge für erheblichen Diskussionsstoff. Zum einen war gefordert worden, dass JiP den Jugendstreiktag offiziell unterstützt. Diesen Antrag hatte es übrigens schon bei JiP 2000 gegeben, wo er ebenfalls nicht angenommen wurde. Warum eigentlich? Sind nicht alle Jugendlichen gegen die Zersparpolitik des Bremer Senats? In diesem Zusammenhang sollte auf die unzureichende Information bezüglich des Jugendstreiktages hingewiesen werden und ebenso auf das greifbare Desinteresse vieler Jungparlamentarier, die vielleicht einfach zu viel Politik auf einmal hatten. Der andere Antrag beinhaltete, dass JiP sich selbst offiziell als Alibiveranstaltung bezeichnen solle. Dieser Antrag wurde auch abgelehnt.

Doch als Katharina Lüllmann Bürgerschaftspräsident Weber erklärte: „Wir übergeben Ihnen unsere gesamte Arbeit der vergangenen drei Tage und hoffen, dass sie da in guten Händen ist“ übergab, spukte das „Gespenst Alibiveranstalung“ wieder durch den Saal. Und als Weber in seiner Schlussrede meinte: „Bei der Pisa-Studie muss irgendein Fehler vorliegen. So wie Sie hier reden, wie Sie diskutieren, wie Sie auftreten – das passt nicht zu Pisa“. Ein vielsagender Vergleich, werden hier nicht Äpfel mit Birnen verglichen?! – da war es klar, dass „von den Resolutionen sowieso nur das umgesetzt wird, was in die Parteiprogramme der Koalitionspartner passt“ (Helke Diers). Wir wollen keine Beschwichtigungen, dass wir doch nicht so schlecht wie laut Pisa herausgefunden, seien, sondern wir fordern ein anständiges Bildungssystem. Wir wollen auch kein billiges Lob, sondern Mitspracherecht – und das wird teuer!

Jugend im Parlament ist als Bildungsveranstaltung und Podium für die Wünsche Jugendlicher eine große Bereicherung, doch was nützt uns all die Bildung und politische Erfahrung, wenn wir sie nicht anwenden können?! Deshalb fordern wir endlich ein legitim gewähltes Jugendparlament! Denn „wir sind nicht einfach die kleinen dummen Jugendlichen, die sich für nichts interessieren!“ (Hanna Lokys)

Natalie Reinsch

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