: Koch zwischen Anwalts- und Staatskanzlei
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch setzt bei der hessischen Landtagswahl voll auf Sieg. Die SPD kämpft mit ihrem fast unbekannten Spitzenmann auf verlorenem Posten. Doch es gibt zwei Unbekannte: die FDP und den Krieg
FRANKFURT taz ■ Wollte der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sein Gottvertrauen auf den Sieg demonstrieren? Und gleichzeitig den politischen Gegner demütigen? Oder wollte er nur, kurz vor dem CDU-Landesparteitag heute in Fulda, die Delegierten noch einmal auf sich einschwören? Immerhin hatte sein Herausforderer von der SPD, Gerhard Bökel, bei seinem Parteitag satte 99,9 Prozent bekommen. Im Falle einer Niederlage bei den Hessenwahlen am 2. Februar 2003, sagte Koch zum Anheizen, werde er wieder in seinen bürgerlichen Beruf als Advokat zurückkehren – und sich ganz aus der Politik verabschieden.
Für den Fall der Wahlniederlage will Koch nicht mehr Kanzler werden? Kaum zu glauben. Prompt fragte die Opposition den Mann, der in der Schwarzgeldaffäre der CDU einen virtuosen Umgang mit der Wahrheit bewiesen hatte: „Herr Ministerpräsident. Haben Sie wenigstens in diesem Fall die Wahrheit gesagt?“ Eine Antwort haben sie nicht bekommen.
Kein Wunder. Der „Chruschtschow der Union“ (SPD), der im Bundesrat mit einem geheuchelten Wutanfall über das Abstimmungsverhalten der SPD auffiel, kann den Wählerinnen und Wählern in Hessen beinahe blind vertrauen. Bei den Kommunalwahlen vergangenes Jahr machten sie die CDU zur stärksten Partei.
Die Zuversicht des Ministerpräsidenten basiert nicht allein auf unerschütterlichem Selbstvertrauen. Der Blick auf den Zustand vor allem der SPD lässt Koch schon heute – klammheimlich – triumphieren. Das aktuelle Regierungsdesaster in Berlin ist umfassend. Es lässt dem verzweifelt um seine Reputation kämpfenden Bökel kaum eine Chance auf Sieg. Noch bunkern die Parteien die Ergebnisse der aktuellen Umfragen. Die CDU behauptete auf Nachfrage nur, die FDP werde die Fünfprozenthürde „sicher überspringen“. Das war vor zwei Wochen. Heute steht fest, dass die Umfragewerte für die SPD auf Bundesebene erodieren – mit möglicherweise gravierenden Auswirkungen auf die Wahlen in Hessen und in Niedersachsen. „Die Rache der Wähler an uns wird fürchterlich werden“, sagte gestern ein Mandats- und Funktionsträger der SPD aus Nordhessen der taz – der seinen Namen freilich nicht in der Zeitung lesen will.
Koch hat gut lachen, obwohl Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU) kurz vor Schluss der Legislaturperiode wegen plötzlich klaffender riesiger Haushaltslöcher gezwungen war, einen Nachtragsetat vorzulegen. Zusätzliches Kreditvolumen: 2 Milliarden Euro. SPD und Grüne brachten deswegen einen – erfolglosen – Rücktrittsantrag in den Landtag ein. Die Regierungsparteien schlugen zurück: Für die Finanznot der Länder trage alleine die „betrügerische rot-grüne Bundesregierung“ die Verantwortung, so CDU und FDP. Und darüber auch lange genug reden zu können, drängt Roland Koch seine Parteifreunde in Berlin dazu, einen Untersuchungsausschusses zum vermeintlichen rot-grünen Wahlbetrug zu installieren. Die Rechung scheint aufzugehen.
Allerdings: Auch Koch muss noch mit zwei Unbekannten rechnen. Jürgen Möllemann will auspacken. Sollten danach auch hessische Liberale im gelben Spendensumpf versinken, könnte der CDU im Februar der Koalitionspartner plötzlich abhanden kommen. Dann müsste Koch seinen Sessel in der Staatskanzlei doch noch räumen. Denn eine absolute Mehrheit holt er nicht. Die zweite Unbekannte ist der Krieg. Sollten die USA noch vor den Wahlen den Irak angreifen, ist das Wahlverhalten der Bürger in Hessen und auch in Niedersachsen kaum noch zu prognostizieren. Die Kriegsangst der Deutschen jedenfalls hat im September nur einem genutzt: dem Bundeskanzler.
KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
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