: Verloren in BHV
Der dokumentarische Heimatfilm „Ich red‘ die natürlich schön...“ aus und über Bremerhaven hatte Premiere
Im Kino gibt es den „establishing shot“: Eine Einstellung zum Beginn einer Sequenz, bei der man sofort sieht, wo man sich befindet. Da nimmt der Regisseur dann möglichst das Typische, oft das Postkartenbild. In Paris den Eiffelturm, in London Big Ben, in Bremen den Roland und in Bremerhaven? Die Rolltreppen im Columbuszentrum!
Natürlich hätte man auch den oft gerühmten Blick über den Deich zeigen können, aber die Bremerhavener Filmemacher Bernd Glawatty und Renate Venske wollten zusammen mit dem Dokumentarfilmer Daniel Sponsel aus München im Gegensatz zum Titel ihres 45-minütigen Films „Ich red‘ die natürlich schön...“ ihre Stadt nicht „schönfotografieren“.
Es geht auch gar nicht darum, wie die Stadt ist, sondern darum, wie ihre Bewohner sie sehen. Dazu wurden sechs BremerhavenerInnen vor der Kamera befragt. Ein Fischhändler im Rentenalter, ein junger Praktikant im Sozialamt, eine Flugleiterin, ausgerechnet von der Schweiz an die Wesermündung gezogen, ein hochmotivierter Unternehmensberater, eine Schulleiterin, die ein Lied über Bremerhaven komponierte, und ein Einzelhändler mit italienischen Vorfahren, der (völlig unbremerhavenerisch) in schönen Sprachbildern philosophiert. Es sei „schwer über den Suppentellerrand zu kriechen, wenn man sein Zuhause im Teller hat“, sagt er sinngemäß, Und der 71-jährige Ur-Bremerhavener sagt es mit Altersweisheit viel lakonischer: „Nutzt ja nix, ich wohn‘ ja hier“.
Begeistert ist keiner von ihnen von seinem Wohnort. Der Unternehmensberater versucht noch am ehesten, die Stadt tatsächlich schönzureden, dies jedoch in einem so typischen Marketing-Jargon, dass er nur noch den ganz Unbedarften einen Gebrauchtwagen andrehen könnte.
Der Witz des Films besteht zum grossen Teil darin, dass er die Sechs einfach reden lässt. „Ich bin ein total spontaner Mensch“ erzählt etwa der burschikose Praktikant, und in der nächsten Einstellung sieht man ihn in seinem Büro brav bei der langweiligen Schreibtischarbeit. Er spricht auch vom „Urbremerhavener an sich...“ und dann zeigt die Kamera kurze Porträts von BürgerInnen der Stadt.
Dies sind auf den ersten Blick schlichte Momentaufnahmen, aber dann sind die vor der Kamera stillhaltenden PassantInnen immer ein wenig länger zu sehen als im Handbuch für Schnitttechnik steht, und für ein paar Sekunden wirken die „ganz normalen“ BremerhavenerInnen seltsam verloren.
Es gibt in „Ich red‘ die natürlich schön...“ noch ein paar von diesen filmischen Tricks, bei denen man sieht, wie sorgfältig und bewusst die Filmemacher gearbeitet haben. Die „establishing shots“ der Protagonisten etwa sind jeweils schön fotografierte Stimmungsbilder, aber ebenfalls einen Tick länger eingeschnitten als üblich. Unterschwellig spürt man, dass Bremerhaven halt ein anderes, etwas tranigeres Timing hat.
Der Film funktioniert auf überraschend vielen Ebenen. So gibt es Zwischentitel mit erhellend komischen statistischen Informationen: „Es gibt in Bremerhaven weniger Fischrestaurants (12) als Sonnenstudios (20).“ Die schönste Pointe liefert aber ein Eierhändler auf dem Markt, der stolz ein winziges Schildchen in die Kamera hält, auf der „Eier“ auf türkisch geschrieben steht.
Wilfried Hippen
Das Filmbüro plant, „Ich red‘ die natürlich schön...“ demnächst auch in Bremen zu zeigen
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