Einsatz ohne Regeln

Die Verstrickungen der UN-Mitarbeiter beginnen meist in den Bordellen der Mafia

von ERICH RATHFELDER

Um halb sechs Uhr morgens umstellten mehrere dutzend italienische Carabinieri und KFOR-Soldaten das Anwesen von Ekrem Lluka in Peja (serbisch Pec), der zweitgrößten Stadt des Kosovo. Mit schussbereiten Maschinenpistolen drangen sie auf das Grundstück vor. Und sie nahmen den schlaftrunkenen Besitzer fest, dazu noch einige seiner Freunde – unter ihnen den Bruder des Oberkommandierenden der Kosovo-Streitkräfte TMK, Agim Ceku.

Auf dem Grundstück fanden sie, wonach sie suchten: 260 Tonnen Zigaretten. Alles Schmuggelware. Dazu waren 5 automatische Gewehre, 5 Pistolen, 500 Schuss Munition, eine Maschine zur Herstellung gefälschter Banderolen für Zigaretten und 5 Radiotransmitter, die offenbar der Kommunikation mit Bandenmitgliedern dienten, im Haus.

Diese Aktion fand am 22. Oktober dieses Jahres statt. Und es sah ganz danach aus, als ob der UN-Administration im Kosovo ein wichtiger Schlag gegen das organisierte Verbrechen gelungen wäre. Denn Ekrem Lluka gilt als eines der wichtigsten Mitglieder der kosovo-albanischen Mafia, von dem gesagt wird, er habe sogar die Macht, die russische und andere konkurrierende Mafia-Gruppen Europas vom Kosovo und sogar vom gesamten Südbalkan fern zu halten.

Ekrem Lluka ist selbstverständlich ein reicher Mann. Neben einer legalen Firma, die ebenfalls mit Zigaretten handelt, besitzt er lokale TV- und Radiostationen. Und einer seiner besten Freunde ist der ehemalige UÇK-Kommandeur der Region Dukadjin, Ramush Harandinaj, heute Chef der drittgrößten politischen Partei der Kosovoalbaner, der „Allianz für den Fortschritt“ (AAK). Harandinaj kontrolliert politisch die Region. Geschäftsleute der Stadt Peja klagen darüber, dass Harandinaj von ihnen Schutzgelder erpresst. Öffentlich wollen sie jedoch nichts sagen. „Die haben ihre Verbindungen bis ganz nach oben in der Unmik, der UN-Mission im Kosovo“, erklärte einer der betroffenen Geschäftsleute kurz nach der Festnahme Llukas. Gäbe er sein Wissen der UN-Polizei zu Protokoll, müsste er befürchten, von den Pistoleros der Mafiosi abgestraft zu werden. „Der Lluka kommt ohnehin wieder frei.“ Schon zwei Stunden später war es tatsächlich so. Lluka wurde nach einer Befragung entlassen. Und er ist bis heute frei.

Die Vorsicht des Informanten war also berechtigt. Es ist nicht nur gefährlich, diese Leute zum Gegner zu haben. Auch sein Verdacht, in der Administration oder der Polizei der Weltorganisation säßen Komplizen, wird selbst von hohen Polizeioffizieren der UN in Priština insgeheim bestätigt. „Wir haben ein großes Problem. In einer Organisation mit so vielen Menschen aus unterschiedlichen Nationen ist es für schwarze Schafe relativ leicht, zu agieren“, sagt einer dieser Offiziere. Er geht sogar so weit, manche UN-Mitarbeiter als Mitglieder der Mafia zu bezeichnen.

Ex-UÇK-Kommandeur Harandinaj drückt sich etwas anders aus. Nachdem er und sein Bruder wegen einer Schießerei im Hof einer kosovoalbanischen Familie im Juni dieses Jahres festgenommen worden waren, ließ er in einem Interview mit dem in Zürich erscheinenden Tages-Anzeiger durchblicken, er habe Material gegen UN-Mitarbeiter in der Hand, das ihn schützen würde.

„Verstrickungen von UN-Mitarbeitern beginnen meist ganz harmlos“, bestätigt ein Insider in Prizren. „UN-Mitarbeiter sind meist alleinstehende Männer. Indem sie in die von der Mafia betriebenen Bordelle gehen, sind sie erpressbar.“ Da wird dann schon mal eine Genehmigung für dunkle Geschäfte über den Tisch gereicht. Manche Mitarbeiter der UN besitzen sogar kriminelle Energie. Auf dem Konto eines deutschen Mitarbeiters des Kraftwerks in Obelić wurden mehrere hunderttausend Euro gefunden – wohl Schmiergelder. Ein lateinamerikanischer Mitarbeiter der Kultursektion soll nach kosovoalbanischen und internationalen Quellen Gelder privater Hilfsorganisationen in beträchtlicher Höhe angenommen haben, um Projekte im Jugendbereich durchzuführen. Keines der Projekte wurde verwirklicht, der Mitarbeiter verschwand, und die Hilfsorganisationen hielten still, weil sie sich gegenüber ihren Spendern nicht kompromittieren wollen.

Manche Kollegen sind Mitglieder der Mafia, sagt ein UN-Polizist. Er will anonym bleiben

Die UN-Mission im Kosovo ist für die Weltorganisation ein Experiment. Noch nie hat sie eine derartige Aufgabe übernommen. Die UN regiert und verwaltet mit mehreren tausend Mitarbeitern – allein 4.450 UN-Polizisten – aus mehr als 40 Ländern die Provinz wie ein Protektorat. Dutzende von UN-Mitarbeitern arbeiten am Aufbau eines unabhängigen Justizsystems oder bemühen sich um die Wirtschaftsreform. Dabei gestaltet sich die Privatisierung der Wirtschaft noch komplizierter als in der Ex-DDR. Denn in Kosovo wurde das Eigentum von Albanern nicht nur durch den Kommunismus enteignet – später, Ende 1989, wurde das Staatseigentum in serbische Hände überführt.

„Viele UN-Leute sind wirklich gute Experten, die ihr Geld wert sind“, sagt ein deutscher Polizeioffizier. Die schwarzen Schafe aber unterminierten die Autorität der Weltorganisation. „Wie soll die Korruption bekämpft und der Gesellschaft ein positives Beispiel gezeigt werden, wenn einzelne Mitarbeiter selbst korrupt sind? Immerhin können jetzt Mitarbeiter der UN trotz ihres diplomatischen Status verhaftet werden.“ Der diplomatische Status würde bei ausreichender Beweislage dann binnen 24 Stunden von der Zentrale der Vereinten Nationen in New York aufgehoben. So wurde Anfang November ein ägyptischer UN-Polizist zu 13 Jahren Haft verurteilt. Er hatte seine kosovoalbanische Freundin ermordet, nachdem sie ihn verlassen wollte.

„Es gibt bisher keine eindeutigen Verhaltensregeln für UN-Mitarbeiter im Rahmen einer solchen Mission“, erklärt eine andere hohe Funktionärin. Sie will wie alle Informanten über dieses heikle Thema nicht öffentlich sprechen. „Denn es gibt hier auch so etwas wie Corpsgeist.“ Anstrengungen der UN-Institutionen in Wien, eindeutige Regeln für Mitarbeiter und auch Sanktionen zu erarbeiten scheiterten an der Haltung der USA zur Frage des Internationalen Tribunals. „Wenn die USA nicht mitmachen und schwarze Schafe unter ihren Mitarbeitern in der UN nicht durch internationale Gerichte aburteilen lassen wollen, entsteht eine Zweiklassengesellschaft innerhalb der UN, das geht natürlich nicht. Alle Mitarbeiter müssen gleich behandelt werden.“ Dennoch muss die Administration unter dem Sondergesandten des Generalsekretärs, des Unmik-Chefs Michael Steiner, handeln und gegen die schwarzen Schafe vorgehen. Dazu sind eigene Polizei- oder sogar Geheimdienststrukturen notwendig. Im Falle der Festnahme Ekrem Llukas in Peja hätten die örtlichen UN-Behörden und die KFOR-Soldaten auf eigene Faust gehandelt, ohne dies mit der Zentrale abzusprechen, heißt es in der Zentrale in Priština. „Was wir aber brauchen, sind nicht Einzelaktionen, die im Sande verlaufen, sondern eine langfristige Strategie der Polizeiarbeit, die auch nach innen wirkt.“