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Das große Fressen

Der Ed Wood unter den Theaterregisseuren: Ivan Stanevs neues Stück „Luxor Las Vegas“ in den Sophiensälen

Ivan Stanev ist der Philosoph unter den Theaterregisseuren. Ludwig Wittgensteins Denkvorgänge hat er versucht zu visualisieren, George Batailles schmerzhafte Ekstasen theatral installiert, und auch Nietzsche, La Mettrie und Marinetti ruft Stanev gern in den Zeugenstand, wenn er von unserer Kultur erzählen will.

In seiner neuesten Produktion „Luxor Las Vegas“ in den Sophiensälen taucht der Autor/Regisseur/Filmemacher bis tief ins alte Ägypten, um den engen Zusammenhang von Kultur und Konsum augenscheinlich zu machen. In einem Szenario der Ewigkeit vergnügt sich Echnaton in der Pyramide mit einem lebendigen Kleopatra-Lookalike, während der in Berlin befindliche Kopf der Schönen ihm via Pharaonenstrahlen Bilder von unserer untergehenden Gesellschaft übermittelt. Abendländische Geschichte als Daily Soap das ist ein wenig nivellierend, aber immerhin: Wer will heutzutage noch 2.000 Jahre kulturelles Auf und Ab stemmen?

Stanev will und richtet daher auf der Bühne eine transkulturelle Freakshow an einem schwarzen Strand ein. In einer Glaspyramide wie im Louvre sitzen eine dünne und eine dicke Touristin. Davor kauert ein blond gelocktes Mädchen, das sich als Britney Spears entpuppen wird. In einem Liegestuhl lümmelt eine lederne Mumie, in einem anderen ein mit Binden umwickelter Mann. Zuerst an den „englischen Patienten“ erinnernd, entsteigt er später dem Kokon als Elvis. Zur Echnaton-Statue ist der Gendergrenzgänger Krylon Superstar ausstaffiert, im Hintergrund befindet sich noch die Sphinx, ganz vorne ein Roulettetisch. Denn Luxor hat sich ja nun in Las Vegas in Form des pyramidalen Hotels und Spielcasinos wieder gefunden. Anfangs begleitet man noch interessiert, wie die Figuren Spielautomaten gleich zum Leben erweckt werden. Auch ihre Verwandlung ist ganz neckisch. Aus der Echnaton-Statue tritt Jeannette Spassova als letzter Mensch „last asshole“ heraus, Echnaton selbst wird „König der Burger“, eine Touristin wird zum Nacktmodell.

Stanev verschmilzt die Diskurse, jede noch so unterschiedliche Hervorbringung wird Ware. Weil die Darsteller bis auf Spassova Amateure sind, hat das Umziehspiel noch den Charme des Dilettantischen. Es ist im Sinne von Ed Wood bestes B-Theater. Aber nur, so lange Stanev es nicht ernst meint. Wenn die Gesellschaftskritik zu triefen anfängt, etwa die Regie- und Maskenassistentin und ein ältlicher Beamtentyp gar böse hartgesottene Manager im „Ich fress dich jetzt!“-Spiel darstellen, schlägt die Lust am Trash in pure Peinlichkeit um.

Geradezu aggressiv reagierten Teile des Publikums, als die Spassova als Kleopatra aus der Pyramide den Untergang der Konsumgesellschaft prophezeite. Niemand mochte mehr zuhören und erhob so die dilettierende Prophetin auf Augenhöhe mit Kassandra. Auch die wurde in Troja ausgebuht. Stanev wird es vermutlich wie Ed Wood gehen: Zu Lebzeiten als schlechtester Regisseur der Welt beschimpft, vom Publikum gemieden, wird ihn erst eine wirklich großzügige Epoche zum Kult erklären. Wer jetzt in die Sophiensäle geht, wird sich später stolz als Kenner feiern lassen können.

TOM MUSTROPH

27. 11.–1. 12. und 3.–8. 12., jeweils 20 Uhr, Sophiensäle, Sophienstr. 8, Mitte

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