: Spitze ohne Hingabe
Dank eines Treffers von Matthias Scherz gewinnt der 1. FC Köln das Zweitligaspitzenspiel gegen den SC Freiburg und verteidigt die Tabellenführung. Den Fans aber ist das egal. Sie sind lieber unzufrieden
aus Köln ERIK EGGERS
Längst war wieder Leere und Kälte eingekehrt auf der ungemütlichen Baustelle des Stadions in Köln-Müngersdorf, das eine Stunde zuvor noch von 28.500 Menschen bevölkert worden war. Auch die meisten Mikrofone und Kameras waren längst abgeschaltet, als Matthias Scherz das finale Wort zum vorangegangenen Zweitligaspiel zwischen dem 1. FC Köln und dem SC Freiburg sprach. „Nein“, sagte der Stürmer der Kölner da, „ich habe kein Verständnis dafür, dass uns die Zuschauer in der 55. Minute zum Kämpfen auffordern. Die müssen doch merken, wenn wir auf dem Platz die Unterstützung brauchen.“
Dabei war es eigentlich für alle Kölner ein Abend zum uneingeschränkten Feiern. Erneut war Scherz zum Helden mutiert, hatte doch sein Kopfball aus der 16. Minute dieses Zweitligaspitzenspiel, das keines war, ziemlich früh für die Gastgeber entschieden. In jedem der sieben Kölner Heimspiele hat Scherz nun jeweils ein Tor geschossen, von den insgesamt 30 Kölner Treffern hat er ein Drittel selbst erzielt und weitere vorbereitet. Wenn irgendjemand den momentanen Erfolg des Spitzenreiters verkörpert, den nun auf sieben Punkte angewachsenen Vorsprung auf einen Nichtaufstiegsplatz und die Serie von 14 ungeschlagenen Spielen in Folge, dann ist es Scherz, der sich nicht erklären kann, warum er in fast jedem Spiel trifft: „Die Bälle gehen einfach rein.“
Obwohl der sofortige Wiederaufstieg in die Eliteklasse winkt, sind die Kölner Fans, wie nicht nur die zweite Halbzeit gegen das spielstarke Freiburg zeigte, mit vielen Details unzufrieden. Zum Beispiel mit der für ihren Geschmack zu destruktiv-defensiven Spielweise der Mannschaft. Die taktische Marschroute nach dem frühen 1:0, hat Trainer Friedhelm Funkel hinterher erklärt, sei schlicht nötig gewesen, „um den schnellen Freiburger Stürmern keinen Platz zu bieten“. Auch war Funkel sichtlich stolz darauf, den Gästen „aus dem Spiel heraus nicht eine einzige Chance“ zugestanden zu haben. „Beachtlich“, fand er das.
Die Kölner Fans aber hassen derlei kühle, professionelle Analysen. Viel lieber zelebrieren sie eine fast schon beängstigende Ästhetik des Niedergangs, so wie am vorletzten Spieltag der letzten Saison, als der FC trotz des 2:0-Sieges gegen den SC Freiburg abgestiegen war. Der Kölner an sich, und speziell der Fußballfan, besitzt eben einen ausgeprägten Hang zur systematischen Selbstdemontage, und er verabscheut jegliche Verbissenheit. Deswegen wird auch Trainer Funkel seit seinem Amtsantritt im Frühjahr mehr als argwöhnisch beobachtet: Weil er wie kein anderer diese verachtete protestantische Arbeitsethik im Sinne Max Webers verkörpert. Weil er Arbeit als Grundlage allen Erfolgs betrachtet. Weil er, um es kurz zu machen, kein Messias ist.
Die Fans, die sich immer noch geistesabwesend fragen, wo denn die Hässler-Millionen geblieben sind, wollen einfach nicht den Ernst der Lage in Köln begreifen. Schon die Rahmenbedingungen sind weiß Gott nicht rosig. Die Auswechselbank von Montag zierten vier Spieler, die noch keinen Zweitligaeinsatz hinter sich hatten, wenn weitere Verletzungen hinzukommen, räumt Funkel ein, „könnte der Kader ein wenig zu dünn besetzt sein“. Auf Abhilfe in der Winterpause darf er kaum hoffen, wie der soeben veröffentlichte Geschäftsbericht der „1. FC Köln GmbH & Co. KGaA“, die für den Profifußball zuständig ist, vermuten lässt. „Die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft“, steht dort, „ist mittelfristig unter der Voraussetzung, dass das Ziel Aufstieg in die 1. Bundesliga erreicht wird, sichergestellt“. Andernfalls drohe eine radikale Kürzung in allen Bereichen, und „eine buchmäßige Überschuldung wird sich trotzdem nicht vermeiden lassen“. Mit anderen Worten: Der FC ist zum Aufstieg verdammt. Diesem Ziel, immerhin, ist er am Montag ein gutes Stück näher gekommen. Auch ohne die bedingungslose Hingabe seiner Fans.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen