: Absagen ans konforme Kino
Zum Sehen, Hören und Schmecken: Die Gruppe „Autoput“ startet in dieser Woche auf Kampnagel eine monatliche Reihe von Abenden mit live synchronisierten Filmen aus Titos Jugoslawien, Slavendisko und Cevapcici
Die in den siebziger Jahren gebaute Autobahn Ljubljana–Skopje, besser bekannt als „Autoput“, war seinerzeit die Hauptverbindungsachse zwischen Mittel- und Südostosteuropa und zugleich die jugoslawische Verkehrsader par excellence. „Autoput“ nennt sich heute eine Gruppe aus sieben Hamburger Künstlern mit bosnisch-kroatisch-serbischem Hintergrund, die ihre wiederentdeckte Lust am Straßenbau und ihre Faszination für die „wahren balkanischen Kulturschätze“ mit dem Hamburger Publikum teilen möchte.
Zu den „wahren Schätzen“ gehören unter anderem teils vergessene Filmmeisterwerke, die durch das performanceartige „Autoput“-Live-Synchronisationsverfahren zu neuem Leben erweckt werden. Los geht es heute Abend mit dem ersten Film aus einer auf mehrere Monate angelegten Reihe. Skupljaci perja – Ich traf auch glückliche Zigeuner heißt der preisgekrönte Klassiker von Alexandar Petrovic aus dem Jahre 1967, nach einer Kritikerumfrage vom Belgrader Filminstitut der beste jugoslawische Film aller Zeiten. Er sorgte seinerzeit europaweit für Furore und besiegelte die Geburt des jugoslawischen Autorenfilms aus dem Geist der Nouvelle Vague.
Die Affinität zur französischen Nouvelle Vague ist aber keinesfalls mit Epigonentum gleichzusetzen. So wie viele jugoslawische Produktionen dieser Zeit, beeindruckt Skupljaci perja nicht zuletzt durch ihren eigenartigen ungezwungenen Realismus. Dabei wird die Absage an die Klischees und Mythen des politisch geprägten „titoistischen“ Kinos zu einem Akt des echten künstlerischen Nonkonformismus.
Allein schon das Thema bedeutete für das damalige Jugoslawien einen Tabubruch: Gezeigt wird das Leben der Roma in einem verkommenen Dorf in der nordserbischen Vojvodina, ein Leben jenseits gewöhnlicher Moralvorstellungen, weit weg vom „hoch entwickelten Sozialismus“. Ein Leben der Gesetzlosen, das trotz all seiner Grausamkeit von einer faszinierenden Schönheit erfüllt ist.
Als quasi einziger professioneller Darsteller (neben dem großen serbischen Star Velimir Bata Zivojinovic), ist im Film der berühmte albanische Schauspieler Bekim Fehmiu zu sehen, der nicht zuletzt wegen seiner physiognomischen Ähnlichkeit als „Belmondo des Balkan“ gefeiert wurde. Mit wunderbarer Natürlichkeit und Präzision bewegt er sich, wie auch der ganze Film, im Grenzbereich zwischen Dokumentation und Fiktion, sodass man am Ende fast an der eigenen Wahrnehmung zweifelt. Verstärkt wird dieses Gefühl dadurch, dass es im Film keinen Erzähler gibt, aus dessen Perspektive das Ganze gesehen werden könnte. Es ist viel mehr eine Ansammlung von Zeugnissen, ein Dokument, ein Traum. So flüchtig, wie das Leben selbst.
Nach Skupljaci perja wurde das im Film spielende Roma-Lied „Djelem Djelem“ zu einem europäischen Hit. Man darf also gespannt sein, wie viele Male es an dem Abend zu hören sein wird. Denn die live-synchronisierte Filmvorführung ist lediglich der erste Teil der heutigen Veranstaltung. Weiter geht es dann mit der Slavendisko der für ihre Auftritte in Golden Pudel Klub und Westwerk bekannten DJs Günther Reznicek und Dado Softic. Ob sie das oben genannte Lied überhaupt spielen, ist schwer vorherzusagen. Sliwowitz und Cevapcici gibt es aber garantiert.
Alexander Mirimov
Film und Party: Do, 21 Uhr, Kampnagel Music Hall
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen