Einschüchterung als bewährte Methode

Die jüngste Aktion des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB gegen die Öko-Vereinigung Baikalwelle zeigt eine neue Qualität im Vorgehen gegen Kritiker: Nicht nur Einzelpersonen, sondern Organisationen stehen auf der Abschussliste

MOSKAU taz ■ Jutta Limbach, die neue Präsidentin des Goethe-Institutes, wird heute vor der Duma über die Entwicklung der „Zivilgesellschaften in Europa“ und deren „rechtliche Aspekte“ sprechen. Ein bei Russlandreisenden mittlerweile beliebtes Thema. Je mehr indes die zivile Gesellschaft zum Gegenstand eines Diskurses wird, desto unbekümmerter fallen Russlands Staatsapparate über deren erste zarte Triebe her.

Jüngstes Opfer ist die Ökologische Baikalwelle (OBW) in Irkutsk. Vergangene Woche durchsuchte der Inlandsgeheimdienst FSB die Büros der ökologischen Forschungsstelle und beschlagnahmte mehrere Computer. Die Staatsschützer hatten es angeblich auf eine Karte abgesehen, die die radioaktive Verseuchung des Baikals durch das (atomaren Treibstoff produzierende) chemische Kombinat Angarsk darstellt. Diese Karte hatten die Umweltschützer im Februar bereits an Russlands nukleare Überwachungsbehörde Gosatomnadsor, die Irkutsker Gouvernementverwaltung, sowie den Gesundheits- und Wetterdienst weitergeleitet. Dass das Material der Geheimhaltung unterliege, will der FSB erst neun Monate später festgestellt haben.

Russlands Mühlen mahlen langsam, aber wiederum auch nicht so langsam. Daher vermuten OBW und Greenpeace Moskau, der Übergriff hänge mit dem Vorhaben des zweitgrößten russischen Ölproduzenten Jukos und der chinesischen staatlichen Petroleumgesellschaft zusammen, die in der Nähe des Baikals eine Pipeline verlegen wollen. Davor hatte OBW wegen der hohen Erdbebengefahr ausdrücklich gewarnt.

Dass Konzerne sich staatlicher Strukturen bedienen, um kommerzielle Interessen durchzudrücken, ist kein rein russisches Phänomen. Wenn der Staat Spionagefälle konstruiert, um Gegner auszuschalten, so ist das indes eine Praxis, die unter Präsident Wladimir Putin zunehmend Nachahmer findet. Spektakulärster Fall war der des Militärjournalisten und Umweltschützers Grigori Pascho, der zurzeit eine Strafe im Arbeitslager absitzt, weil er Japanern vermeintlich geheimes Material verkauft haben soll.

Schlagzeilen machte auch Kapitän Alexander Nikitin, dem vorgeworfen wurde, der norwegischen Umweltschutzorganisation Beluga Staatgeheimnisse verraten zu haben. Scheinbar nebensächlich wies der FSB Irkutsk auch auf die ausländischen Kontakte der Baikalwelle hin, die seit mehreren Jahren von der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung gefördert wird.

Wenn Alexander Nikoljuk, Vize-FSB-Chef in der Region, beschwichtigend zu verstehen gibt, strafrechtlich hätten die Ökologen nichts zu befürchten, dafür aber „jene, die die geheime Information beschafft haben“, so deutet das auf eine größer angelegte Aktion hin. Die Wissenschaftler vom staatlichen geologischen Institut, die im Auftrag von OBW die Karte erstellt hatten, sollen zur Rechenschaft gezogen werden. Welcher Wissenschaftler wird danach noch freiwillig mit Umweltorganisationen und NGOs zusammenarbeiten?

Das Kalkül des KGB-Nachfolgers, Angst und Verunsicherung zu verbreiten, dürfte dabei auch aufgehen. Neu am Vorgehen der Sicherheitsbehörden, so Julia Schilian von der Baikalwelle, sei das Vorgehen gegen eine Organisation. Bisher hatte sich der FSB nur an Einzelpersonen gerächt.

KLAUS-HELGE DONATH