: „Zeitweise musste ich 16 Tabletten nehmen“
Petra Klüfer, 57 Jahre, ist Vorstandsmitglied der Aids-Hilfe e. V. in Hamburg und lebt seit 17 Jahren mit dem Virus
taz: Wann haben Sie erfahren, dass Sie HIV-positiv sind?
Petra Klüfer: Ich wurde 1992 positiv getestet. Ich hatte damals eine schwere Gürtelrose und meine Ärztin riet mir, ich sollte doch einen HIV-Test machen. Da ich nicht zu den so genannten Risikogruppen gehörte, ließ ich ganz unbefangen einen Test machen.
Wissen Sie, wie Sie sich infiziert haben?
An Hand des Immunstatus kann festgestellt werden, wann die Infektion erfolgt war. Ich war sieben Jahre zuvor infiziert worden, von einem Mann während einer kurzen Affäre. Ich hatte von der Infektion nichts gemerkt. Manche merken die Primärinfektion. Aber sie kann auch nur wie eine kurze Grippe sein.
Bekamen Sie dann Medikamente?
Ich bekam gleich AZT, was ich aber nicht vertrug. Daraufhin nahm ich an einer Medikamentenstudie teil und bekam so ein anderes Medikament, das ich sehr gut vertrug. Inzwischen bin ich bestimmt bei der fünften oder sechsten Kombinationstherapie.
Wie viele Tabletten nehmen Sie zur Zeit?
Ich nehme morgens um elf und abends um dreiundzwanzig Uhr je fünf Tabletten. Eine ist ein Kombipräparat und enthält zwei Wirkstoffe. Die anderen vier enthalten denselben Wirkstoff. Damit der Körper viele Stunden mit den Medikamenten versorgt ist, muss ich sie alle zwölf Stunden einnehmen. Ich habe also eine Dreierkombination. Ich hatte auch schon mal eine Viererkombination, und zeitweise musste ich sechzehn Tabletten am Tag nehmen.
Ist es schwer, immer die Medikamente einzunehmen?
Im Moment geht es für mich. Die Einnahme-Regime sind einfacher geworden. Vor ein paar Jahren gab es Medikamente, die mussten nüchtern eingenommen werden. Andere zum Essen, andere nach dem Essen. Einige mussten mit fettreicher Nahrung, einige mit eiweißreicher Nahrung, andere mit Grapefruitsaft zusammen eingenommen werden, damit das Medikament die Blut-Hirn-Schranke passiert.
Haben Sie schon mal eine Medikamentenpause gemacht?
Ich machte letztes Jahr sieben Monate Pause. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt 50.886 Tabletten eingenommen. Das ist doch Guinness-Rekord-verdächtig, oder? Mein Arzt war nicht begeistert. Aber ich fand, dass ich mir bei einer Viruslast von unter 50, bei einer T-Helferzellzahl von 500 nicht mehr diese Hämmer reinziehen müsste. Die Viruslast stieg damals langsam wieder an, aber jetzt ist sie wieder unten.
Was hat Ihnen die Pause gebracht?
Nicht so viel, wie ich gehofft hatte. Ich konnte zum Beispiel wieder durchschlafen. Die Last, die Pillen einzunehmen, war weg. Mein allgemeines Körperempfinden war besser. Aber die Verbesserung, auf die ich gehofft hatte, dass die Muskelschwäche meiner Beine verschwindet und ich wieder mehr als 100 Meter schmerzfrei laufen kann, ist nicht eingetreten.
Und wie geht es Ihnen jetzt mit den Medikamenten?
Da ich nicht mehr so viele Pillen nehmen muss, geht es. Außerdem hat sich die Warnung des Arztes, dass sich bei mir der Wildtyp des Virus entwickeln könnte, nicht bewahrheitet. Mit der Medikamentenpause ist das so eine Sache. Es ist einfach nicht bekannt, was Nebenwirkungen der Medikamente und was direkte Folgen des Virus sind. So ist das auch beim Lipodystrophie-Syndrom. Unter dem leide ich immer noch. Ich sehe aus wie ein Hungerkind. Dicker Bauch und dünne Arme und Beine.
Was ist das Lipodystrophie-Syndrom?
Das sind Veränderungen der Fettumverteilung sowie Stoffwechselstörungen. Die Fettpolster an den Gliedmaßen, bei Männern oft auch noch im Gesicht, verschwinden und lagern sich um den Bauch und im Nacken an. Das eingefallene Aussehen belastet viele, sie fühlen sich gezeichnet, werden auch oft daraufhin angesprochen. Aber die Kassen zahlen keine kosmetischen Maßnahmen, und einige finanzieren sie dann selbst. Ich selbst hatte diese körperliche Veränderung seit 1996 festgestellt. Meine Ärzte konnten das nicht erklären. Dann kam auf mehreren Aids-Konferenzen heraus, dass überall, wo Protease-Hemmer eingesetzt werden, diese Nebenwirkung auftritt. Also, von Nebenwirkungen wie Durchfall und Schlafstörung spreche ich schon gar nicht mehr.
Sie engagieren sich in Selbsthilfenetzwerken?
Es gibt andere HIV-chens, die zweimal die Woche ins Café gehen und ihre Wunden lecken und das war es. So lebe ich aber nicht. Ich beteilige mich unter anderem als Community Board an der Vorbereitung des 9. Deutschen und 14. Österreichischen Aids-Kongresses vom 14. bis 17. Mai 2003 in Hamburg. Bei keiner anderen chronischen Erkrankung gibt es so ein aufgeklärtes PatientInnengut wie bei HIV und Aids. Auch die Pharmaindustrie kann an der Community nicht vorbei.
Sind Sie denn Aids-krank?
Nein. Ich bin Optimistin. Ich denke, mein HI-Virus wird nie zum Ausbruch kommen. Ich kenne einen, der lebt seit 17 Jahren mit dem Virus und hat noch keine einzige Tablette geschluckt! Wenn ich vor zehn Jahren so gut informiert gewesen wäre wie heute, hätte ich mich nicht so schnell in eine Medikamententherapie drängen lassen. Ich denke, dass noch ganz andere Faktoren für ein gutes Leben mit dem Virus nötig sind: Die Psychohygiene muss stimmen. Das soziale Netz ist wichtig!
INTERVIEW: GUDRUN FISCHER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen