: Schrecken der Meere
Neue Naturschutzgebiete in Nord- und Ostsee: Nabu will mit Vorschlägen für die Umsetzung von EU-Plänen Bund und Ländern auf die Sprünge helfen. Auch die Windenergie soll sich örtlich beschränken
von GERNOT KNÖDLER
Der Naturschutzbund (Nabu) hat von der Bundesregierung verlangt, so schnell wie möglich neue Naturschutzgebiete in Nord- und Ostsee auszuweisen. Die Kriterien und den Zeitrahmen dafür hat die EU vorgegeben. Weil sich an Land gezeigt habe, dass Regierungen diesen Vorgaben gerne nur schleppend und unvollständig nachkommen, hat der Nabu selbst Vorschläge für Schutzgebiete auf See gemacht. Bei Ländern, die sich um die Ausweisung von EU-Schutzgebieten drückten, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits auf solche Listen der Umweltverbände zurückgegriffen.
„Die Natur in Nord- und Ostsee ist in einem dramatisch schlechten Zustand“, sagte Nabu-Präsident Jochen Flasbarth gestern bei der Vorstellung des Schutzgebietskonzepts in der Patriotischen Gesellschaft: „Für Tiere und Pflanzen gilt Alarmstufe Rot.“ Einzigartige Sandbänke, Lagunen und Riffe seien bedroht und mit ihnen die Fische, Vögel und Meeressäuger, die dort lebten. Der Nabu hat deshalb einen „Masterplan für die Rettung der Natur“ vorgelegt.
Grundlage dafür sind die Vogelschutzrichtlinie und die Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Richtlinie der EU. Sie schützen seltene Tier- und Pflanzenarten und deren Lebensräume. Ein Kriterienkatalog legt fest, wann ein Gebiet von einem EU-Mitgliedstaat zum FFH- oder Vogelschutzgebiet erklärt werden muss. Die vielen Schutzgebiete sollen laut EU zu dem Netz „Natura 2000“ verknüpft werden.
Die Nabu-Vorschläge zur Umsetzung der EU-Pläne beziehen sich auf die Zwölfmeilenzone, die zum deutschen Hoheitsgebiet gehört und in der die Länder beim Naturschutz das Sagen haben. Dazu kommt ein weiterer Streifen Meer, die „Ausschließliche Wirtschaftszone“ (AWZ), über deren Nutzung etwa für Offshore-Windenergie oder das Heben von Bodenschätzen Deutschland entscheiden darf. Nach dem neuen Bundesnaturschutzgesetz ist die Bundesregierung für Schutzgebiete in der AWZ zuständig. „Diese hat es nun in der Hand, das europäische Natura-2000-Netzwerk zu vervollständigen“, so Flasbarth.
Der Nabu betont, seine Vorschläge – sieben für die Nordsee, sieben für die Ostsee – orientierten sich streng an den Kriterien der EU-Richtlinien und seien „zurückhaltend“. Die Regierungen dagegen ließen schon bei der Auswahl und beim Zuschneiden der Gebiete andere Interessen einfließen, wie etwa künftige Straßenbauprojekte. Nach Einschätzung des Nabu müssten rund 30 Prozent der Zwölfmeilenzone und der AWZ nach EU-Recht geschützt werden.
Für die Nordsee fordert der Verband unter anderem Schutzgebiete vor den ostfriesischen Inseln, rund um Helgoland sowie in der AWZ vor der nordfriesischen Küste. In der Ostsee sollen besonders Gebiete vor der schleswig-holsteinische Küste und die Pommersche Bucht östlich von Rügen zusätzlich geschützt werden. Dort vor der Odermündung leben laut NABU knapp hundert von insgesamt nur noch 600 in der östlichen Ostsee vorkommenden Schweinswalen. Neben weiteren Meeressäugern wie Kegelrobben und Seehunden erfordern auch 25 bedrohte Vogel- und sechs Fischarten zusätzliche Schutzgebiete. „Seltenen Vogelarten wie Stern- und Prachttaucher droht sonst das baldige Ende“, betonte der NABU-Präsident.
Die wirtschaftliche Nutzung müsse in den künftigen Schutzgebieten unterbleiben. Flasbarth kritisiert, dass in den entsprechenden Arealen bereits 1000 Quadratkilometer für den Sandabbau freigegeben sind. Auch Offshore-Windkraftanlagen sollten nur außerhalb der Schutzgebiete stehen. Nach Angaben des Nabu gibt es für die Nordsee 22 Anträge für zusammen über 10.000 Rotoren, für die Ostsee sind es sieben Anträge für rund 1100 Einzelanlagen. Wer in schützenswerten Gebieten geplant habe, habe gewusst, dass er mit dem Naturschutz in Konflikt geraten könne, meinte Flasbarth.
Der Nabu unterstütze zwar die Wende hin zu regenerativer Energie, die ohne einen großen Anteil an Windenergie auch auf See nicht möglich sei, sagte der Präsident. Doch die Anlagen müssten ja nicht ausgerechnet in Naturschutzgebieten errichtet werden: „Außerhalb dieser Gebiete gibt es genug Platz für die Windenergie.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen