: Verdrängte Populärkultur
Hamburger Jungs mit‘m Tüdelband: Bücher und Tonträger widmen sich Leben und Arbeiten der jüdischen Gesangshumoristen und Revuestars „Gebrüder Wolf“
von ALEXANDER DIEHL
Mit großem Erfolg widmeten sich die Hamburger Kammerspiele Anfang des Jahres einem weitgehend verdrängten Winkel Hamburger Populärkultur-Geschichte. Im Januar wurde im Haus an der Hartungstraße erstmals Die Gebrüder Wolf-Story auf die Bühne gebracht, die ab der kommenden Woche wieder auf dem Spielplan steht. Peter Franke und Gerhard Garbers verkörperten Die Jungs mit dem Tüdelband, die jüdischen Gesangshumoristen Leopold und Ludwig Isaac, die ihren Nachnamen in Reaktion auf den allgegenwärtigen Antisemitismus in Wolf änderten. Anfangs noch als Wolf-Trio (zusammen mit ihrem Bruder James), erlangten die Fleischersöhne aus der Hamburger Neustadt zwischen 1895 und den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts als Hamburger Originale enorme Popularität auch über die Stadtgrenzen hinaus. Die turbulente Revue unter der Regie von Ulrich Waller montiert Sketche und Lieder der Wolfs, darunter ihren Erkennungsschlager „Snuten un Poten“, mit zeitgenössischen Texten zum jüdischen Alltag in Hamburg.
Bereits seit Mitte der 90er Jahre arbeitet der Hamburger Künstler und Filmemacher Jens Huckeriede an der Wiederentdeckung der Wolfs und ihrer Arbeiten – und der Rekonstruktion ihres Schicksals nach 1933. Für eine Freiluftinstallation im früheren jüdischen Viertel Altonas verwendete er 1995 den Text der musikalischen Hamburgensie „An de Eck steiht‘n Jung mit‘m Tüdelband“. Denn das Lied, in einer frühen Fassung 1911 von Ludwig Wolf geschrieben, bezeugt die Verschränkung der nachträglich auseinander dividierten Traditionslinien „jüdischer“ und „deutscher“ populärer Kultur. Demnächst wird Huckeriede einen Dokumentarfilm über Leben und Schicksal der „Hamborger Jungs“ fertigstellen, der einen Bogen schlägt bis zum Urenkel Leopold Wolfs, Dan Wolf, der als Schauspieler und Rapper in den vergangenen Jahren mehrfach Hamburg besuchte.
Zu einer von Huckeriede initiierten Ausstellung, die im Herbst 2001 im Hamburger Rathaus zu sehen war, ist ein liebevoll gestalteter Katalog veröffentlicht worden, der mittels zahlreicher Bühnen-, Reklame- und Privatfotos, Dokumente und kommentierender Texte einen guten Überblick über das Leben der Wolfs und den derzeitigen Stand von Huckeriedes „Erinnerungsprojekt“ zum Thema gibt. Auf der beigefügten CD finden sich neben einem kurzen Auszug aus der Kammerspiel-Bühnenrevue auch einige Originalaufnahmen der Gebrüder Wolf. Beides ist auch ausführlicher erhältlich: Von Wallers Gebrüder Wolf-Story erschien unlängst ein Mitschnitt, und das ambitionierte Hamburger Kleinlabel Musik-Antik brachte 23 Wolf‘sche Schellack-Gassenhauer auf CD heraus.
Jens Huckeriede/Angela Müller, „An de Eck steiht‘n Jung mit‘n Tüdelband. Gebrüder Wolf – Hamburger Gesangshumoristen und Revuestars von 1895 bis 1953“. Hamburg: Kunstwerk, 2002, 154 S., 14,90 Euro. Dieter Guderian, „Die Hamburger Familie Isaac. Lebensgeschichte der Volkssänger Gebrüder Wolf“, Norderstedt: BoD, 2001, 124 S., 14,83 Euro „Die Gebrüder Wolf-Story“ (Wiederaufnahme): 4.12., 20 Uhr; weitere Vorstellungen: 5.–8., 10–15., 17.–23. sowie 28. bis 30. Dezember, jeweils 20 Uhr; Silvester 17 und 20 Uhr, Hamburger Kammerspiele (Karten: ☎ 41 33 44 44)„Die Gebrüder Wolf-Story“, Mitschnitt der Bühnenrevue, Hoffman & Campe, 2002, 2 CDs, 19,90 EuroGebrüder Wolf, „Snuten un Poten“, 23 restaurierte Schellackaufnahmen, CD, Hamburg: Musik Antik, ca. 15 Euro
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