Betr.: Michael Jungblut

Nach einem dreijährigen Gastspiel hat der Fotograf Michael Jungblut die taz verlassen. Mit seiner eigenwilligen Perspektive hat das Multitalent das Gesicht der Zeitung gepägt

Der Mann geht ran. Manche Leute bekommen es mit der Angst, wenn Michael Jungblut mit dem Weitwinkel fast an ihre Nase stupst. Aber die Sache ist es wert, zeigt er sie doch immer wieder in ungeahnten Perspektiven – verzerrt, aber dennoch auf eine eigentümliche Weise wahrhaftig. Ein wenig schaut der Industriefotograf mit durch die Linse, der sein Gegenüber immer auch in einer hintergründigen, fast grafischen Struktur verorten möchte. Sein Handwerk hat „Youngblood“, wie Kollegen ihn zärtlich nennen, im VW-Werk von der Pike auf gelernt – in seiner Heimatstadt Wolfsburg, die er bis heute schätzt: „Da finde ich mich mit dem Auto immer so gut zurecht.“

Beim Porträtieren kommt ihm eine weitere Qualifikation zugute: „Zwischendurch“ hat das Multitalent mal eben ein Diplom in Psychologie abgelegt – nur um dann doch lieber mit der Kamera statt der Couch weiter zu machen. Und dann war da noch der Musiker Jungblut: Eine Zeit lang hat er sich die Brötchen in kleinen Clubs zusammengeschrammelt, seinen Bass auf nicht enden wollenden Tourneen geschunden. Geblieben ist davon das Brit-Pop-Outfit, die viel zu vielen, grauen Haare, die nahtlos in den Backenbart übergehen, die baggy Cordhosen und die schweren Brogues mit durchgenähter Sohle. Und geblieben ist ein Fotograf, der zum 15. Geburtstag der taz mal eben lässig-abstrakte Ambient-Lounging-Sounds beisteuert.

Zur taz kam Jungblut nach diesen Karriere-Pirouetten in einem Alter, in dem andere erschreckt ihre Rentenberechnung zur Kenntnis nehmen. Er nahm die Herzen dennoch mit seinem Lausbubencharme. Dafür kann man ihm sogar verzeihen, wenn er mal wieder überdeutlich raushängen lässt, dass ihn der Zeitungsalltag unterfordert. Mit einem Pokerface nimmt er jeden Auftrag ungerührt entgegen. Wenn er mit einem (!) stinklangweiligen Bild wiederkommt, war das Thema ganz einfach unter seiner Würde. Aber wehe, er findet Lust am Gegenstand: Dann wird die Arberger Kirche zu Draculas Schloss, Bahnschienen zur Straße nach nirgendwo. Wie kaum ein anderer Fotograf kann Jungblut Leidenschaft für Gebäude und Stadträume entwickeln, sie auf fast manipulative Weise zum Leben erwecken. Seine Spezialität: Unterirdisches. Keine Tunnelbaustelle, die er nicht begeistert besuchen würde. Seit diesem Jahr nur noch auf eigene Rechnung, als Teil der Agentur „Fotoetage“.

Nur ins Weserstadion können wir ihn vielleicht noch mal mitschnacken. Dann wird er wieder zwischen all den Kollegen hocken, die mit ihren Monster-Teles das Schwarze unter den Fingernägeln am anderen Spielfeldrand sehen können. Und Jungblut wird wieder keins dabei haben; wird geduldig warten, bis Ball und Mensch vor seine Weitwinkel-Linse schliddern. jank