: Dream Team der feindlichen Brüder
Die gemeinsame Bewerbung um die Austragung der Fußball-Europameisterschaft 2008 soll nicht nur die Versöhnung zwischen der Türkei und Griechenland vorantreiben, sondern auch das türkische Anliegen einer EU-Mitgliedschaft fördern
aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH
Die Aussicht aus dem 16. Stock des hypermodernen Beybi Giz Plaza im Istanbuler Stadtteil Maslak ist fantastisch, doch es schaut kaum jemand hinaus. Stattdessen bleibt der Blick hängen an Fotos und Computerprojektionen großer Stadien, die an die Wände projeziert sind oder die Fenster zustellen. Besonders stolz ist Sami Cölgencen auf das neu gebaute Istanbuler Olympiastadion. 80.000 Besucher finden hier einen Platz, alles nach neuesten internationalen Standards gebaut, überdachte Sitzplätze vom Feinsten. Herr Cölgencen hat einen Traum, der im Juni 2008 Wirklichkeit werden soll.
„In diesem Stadion“, schwärmt er, „werden wir eine Eröffnungsfeier zelebrieren, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat“. Allerdings wird diese Feier keine Olympischen Spiele eröffnen, denn Istanbul ist beim IOC trotz mehrmaliger Bewerbung nicht zum Zug gekommen. Sami Cölgencen ist der Koordinator für die gemeinsame türkisch-griechische Kandidatur um die Austragung der Fußball-Europameisterschaft 2008. Am 11. Dezember haben die Bewerberländer in einem Genfer Nobelhotel die letzte Chance, sich noch einmal zu präsentieren. Einen Tag später wird der Weltverband Fifa dann seine Entscheidung verkünden.
„Wir haben großen Respekt vor unseren Mitbewerbern“, sagt Cölgencen pflichtgemäß, „aber ich glaube, wir können es schaffen.“ Das Tandem Türkei-Griechenland habe so viel Charme, dass es kaum zu schlagen sei, ist der türkische Koordinator überzeugt. Dieser Optimismus mag auf den ersten Blick erstaunen, denn bislang galten Griechenland und die Türkei ja eher als verfeindete Brüder, denn als gemeinsam agierendes Dream Team. Doch die Zeiten ändern sich, und Sport, so die Devise von Cölgencen, ist „the greatest investment for peace and understanding among nations.“ Dieser Satz ist mittlerweile zum Slogan der Bewerbung geworden und soll bei Fifa-Chef Blatter auf große Begeisterung gestoßen sein.
Tatsächlich hat die gemeinsame Bewerbung um die Ausrichtung der Fußball-EM das Glück des richtigen historischen Augenblicks im Rücken. Als die Idee vor ein paar Jahren aufkam, befanden sich Griechenland und die Türkei noch mitten im Kalten Krieg, und eine gemeinsame EM schien die Träumerei einiger Phantasten. Mittlerweile sieht das ganz anders aus. Seit der emotionalen Annäherung der beiden Länder im Gefolge des großen Erdbebens 1999 hat sich die politische Szenerie erstaunlich verändert. Heute treffen sich griechische und türkische Außenminister mitsamt ihren Familien an ihren Urlaubsorten, die Zahl griechischer Besucher in der Türkei hat erheblich zugenommen, und der griechische Ministerpräsident ist im Kreise seiner EU-Kollegen mittlerweile zum eifrigsten Befürworter einer türkischen EU-Mitgliedschaft geworden. In der letzten Woche reiste der Sieger der jüngsten türkischen Wahlen, Tayyip Erdogan, zu einem Besuch von Ministerpräsident Kostas Simitis nach Athen. Und seit UN-Generalsekretär Kofi Annan seinen Zypernplan vorlegte, gibt es berechtigte Hoffnungen, dass dieser größte Stolperstein zwischen den beiden Ländern genau rechtzeitig zum 11. Dezember aus dem Weg geräumt sein könnte.
Zu dem verbesserten politischen Umfeld kommen hervorragende sportliche und organisatorische Voraussetzungen. Die Fifa schreibt für eine EM acht große Stadien mit einer Mindestkapazität von 35.000 Zuschauern vor. „Davon“, sagt Cölgencen, „ist die Hälfte bei uns bereits vorhanden.“ Neben dem Olympiastadion ist für die EM ein zweites Stadion in Istanbul vorgesehen, das ebenfalls jüngst zu einer 50.000-Plätze-Arena ausgebaut wurde. Die vier Stadien in Griechenland (Athen, Heraklion, Patras und Thessaloniki) werden für die bevorstehenden Olympischen Spiele 2004 gerade ausgebaut, und in der Türkei müssen nur noch die Stadien in Izmir und Antalya den Anforderungen angepasst werden. Dazu kommen die unschlagbaren Vorteile von Sonne, Sand und Meer. „Überlegen Sie doch einmal, was machen die Fans bei unseren schärfsten Mitbewerbern, dem Gespann Österreich-Schweiz, und der gemeinsamen Bewerbung der skandinavischen Länder vor und nach den Spielen? – Eben, sie langweilen sich.“ In Griechenland und der Türkei sind im Juni sowieso zwei Millionen Urlauber aus dem übrigen Europa da. „Sie gehen morgens an den Strand, nachmittags ins Stadion und abends in die Disko. Das kann kein anderer Austragungsort bieten.“
Bleibt die Frage, ob die Fans beider Länder das Tempo der Politiker mitgegangen sind. Zwar zeigen Umfragen, dass auf beiden Seiten der Ägäis eine breite Mehrheit die gemeinsame Bewerbung unterstützt, doch in einem Fußballstadion sieht die Emotionslage im Zweifelsfall noch einmal ganz anders aus.
Der erste Fan-Test fand kürzlich erst in Istanbul, dann in Athen statt und fiel etwas durchwachsen aus. Erstmals seit Jahrzehnten trafen in einem regulären Match eine türkische und eine griechische Spitzenmannschaft aufeinander. Als Panathinaikos Athen zum Uefa-Cup-Hinspiel im Istanbuler Fenerbahçe-Stadion antrat, hatten sich extra die beiden Außenminister Jorgos Papandreou und Sina Gürel angesagt. Sie hätten es lieber bleiben lassen sollen. Bei einer demonstrativen gemeinsamen Runde im Stadion wurden sie von wütenden griechischen Fans mit Coladosen und Sitzkissen beworfen, während ein Fenerbahçe-Fanclub ein riesengroßes Transparent entrollte, auf dem lediglich stand: „Istanbul 1453“ – das Jahr, in dem Konstantinopel von den Osmanen erobert wurde.
Doch Sami Cölgecen kann das nicht erschüttern. „Wenn man den Sport von einer Hand voll Hooligans abhängig macht, könnte man in England kein einziges Fußballspiel mehr austragen.“
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