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Grotesk überzeichnet

Abseits von Zielgruppen-Marketing oder Promo-Maschinerie: Der HipHop-Spielfilm „Crooked“ mitsamt Hauptdarsteller Sensational im Schlachthof

von ALEXANDER DIEHL

„Neben Musik und Schreiben“, so ließ Skiz Fernando es seiner jüngsten Platte beipacken, „ist Film schon immer eine meiner Leidenschaften gewesen.“ In den erstgenannten Disziplinen hat Fernando längst einen Namen, und sei es auch nur in eher familiären Nerdkreisen: Sein WordSound-Label galt einige Jahre lang als beste Schmiede für vordergründig abseitigen, mythologisch verquasten HipHop und verschwörerische Bassfrequenzen mit dystopischer Grundstimmung. Den dort kultivierten, zeitweise als „Illbient“ gehandelten Sound kennt heute – über den zwischenzeitlich als Turntable-Neutöner kanonisierten DJ Spooky – sogar internationales Bildungsbürgerpublikum.

Auf rund 40 Releases brachte es WordSound in acht Jahren, und auf nicht wenigen war Fernando selbst zu hören: als Spectre, Slotek oder The Eye, und wer weiß, wie sich der selbst erklärte „edle Wilde“ als nächstes verpuppt. Durchgängig verfolgt das Label eine Veröffentlichungspolitik abseits von Zielgruppen-Marketing oder Promo-Maschinerie und hängt geradezu romantisch einem andernorts längst abgemeldeten Independent-Idealismus an.

Bereits zuvor hatte der diplomierte Journalist Fernando mit The New Beats: Exploring the Music, Culture & Attitudes of HipHop ein zurzeit vergriffenes und leider nie ins Deutsche übersetztes Standardwerk zum Thema veröffentlicht. Er schreibt regelmäßig für diverse Publikationen zwischen Vibe und New York Times und steuerte zuletzt Artikel zu popmusikalischen Enzyklopädien bei. Und bei der „Music Academy“ einer angeblich Flügel verleihenden Wachmacherbrause mischte er 2001 plötzlich auch noch mit – alles strictly underground, versteht sich.

„Ich hatte nie die nötige Zeit, das Geld oder schlicht die Ahnung, wie ich es angehen sollte“, lässt Fernando zur dritten eingangs erwähnten Disziplin eigenen kreativen Ausstoßes verlauten: Nach gut drei Jahren Vorlauf stellte er vor kurzem seinen ersten Spielfilm fertig: Crooked fußt in nicht geringem Maß auf der WordSound-Geschichte. Eine der beiden Hauptfiguren, der Gras vertickende College-Absolvent und Beinahe-Labelgründer Xane (Daniel Dejesus) ist ihm nachempfunden, die andere ist der langjährige WordSound-Schützling und Vertragskünstler Sensational, der sich noch unmittelbarer einfach selbst spielt; Drehbuchautor, Produzent und Regisseur Fernando taucht, geradezu klassisch, kurz auf: in der Rolle eines Undercover-Cops.

Crooked verhält sich zum mehrfach als Referenz angeführten Film Ghost Dog in etwa so wie das Geschäftsvolumen von WordSound zu dem des am Jim Jarmusch-Streifen beteiligten RZA (Wu-Tang Clan): Fernando kratzte ein Budget von gerade mal 30.000 Dollar zusammen und drehte binnen eines Monats auf erschwinglichem Digital-Video-Format. Den – vielleicht nahe liegenden – Manierismen etwa des „Dogma 95“ bleibt der Film in seinem eher unfreiwilligen Understatement erfreulich fern.

„Basketball und Rap sind zwei legitime Wege aus dem Ghetto“, schreibt Fernando auf der Homepage zum Film www.wordsound.com. „Aber für jeden Michael Jordan oder Puff Daddy gibt es Millionen unterhalb der Armutsgrenze, die es nicht schaffen.“ Und auch um die geht es in Crooked: Zu sehen gibt es da eine kaum romantisierte, allenfalls grotesk überzeichnete Welt von Underdogs, Kleinkriminalität und andauernden ökonomischen wie sonstigen Zwängen, mit der sich HipHop-Videoclips nur selten befassen.

Am Ende wird dem Film-Sensational ein halbherzig betriebener Drogen-gegen-Falschgeld-Deal zum Verhängnis werden. Sein gerade noch zu Stande gekommenes Debütalbum macht das zu einem posthumen Erfolg: „Haben sie die Platte von dem Typen, der gerade getötet wurde? Soll ja eine Bombe sein.“ Der echte Sensational indes ist quicklebendig: Im Anschluss an die Crooked-Vorführung wird der Rapper mit seiner grandiosen Vortragsweise zwischen Lallen und Nuscheln zu stolpernden und hakenden Beats den Abend abrunden.

heute, 20 Uhr, Schlachthof

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