nebensachen aus danzig: Wenn die Ehrung eines berühmten Dichters zu Lebzeiten an fehlenden Sanitäranlagen scheitert
Warten auf die Günter-Grass-Toiletten
Schriftsteller sind schwierige Zeitgenossen. Sie wollen gelobt, mit Preisen überhäuft und bewundert werden. Die Stadtväter im heute polnischen Danzig dachten sich für ihren berühmtesten Sohn, den Literaturnobelpreisträger Günter Grass, eine besondere Überraschung aus: ein Denkmal zum Anfassen. Der Schriftsteller sollte auf einer Bank neben seiner Romanfigur, Oskar Matzerath aus der „Blechtrommel“ sitzen. Beide in Lebensgröße und aus Gusseisen. Polnische und deutsche Danziger sowie Touristen aus aller Welt hätten sich daneben setzen und ein Foto schießen lassen können.
Der Platz vor dem Geburtshaus Günter Grass wurde schön hergerichtet. Die Fontäne erhielt ein neues Becken. Eine Tänzerin dreht sich inmitten von 32 Wasserstelen. Vier weitere Parkbänke wurden aufgestellt. Irgendwo trieb der Stadtrat sogar noch ein paar stilvolle alte Laternen auf. Doch Grass fand die Denkmalsidee „zu meinen Lebzeiten“ unsäglich. Unwirsch ließ er die Danziger wissen, dass sie lieber Toiletten in den Wohnungen seines Geburtshauses einbauen sollten. „Meinetwegen können die dann Grass-Klo heißen“, soll er gesagt haben.
Die Stadträte von Danzig waren tief beleidigt. „Er will kein Denkmal! Er will Klos!“ Die Empörung kannte keine Grenzen. Immerhin steht der Papst auch an jeder Ecke, obwohl er noch unter den Lebenden weilt. „Was sollen wir jetzt tun? Etwa mit dem Denkmal warten, bis er tot ist? Was ist denn das für eine Einstellung?“ Nach einigen Tagen ließen sie in ruhigerem Tonfall verbreiten: „Das Haus ist ein ganz normales Wohnhaus. Es ist nicht besser als die anderen Häuser, nur weil ein Günter Grass darin geboren wurde. Toiletten gibt es, wenn das Haus mit der Sanierung dran ist.“ Und dass Grass zur Einweihung seines Denkmals nicht kommen werde, könne man verkraften: „Wir feiern trotzdem!“ Doch der große Tag fiel ins Wasser. Es regnete in Strömen. Die Schauspieler, die das Theaterstück nach einer Erzählung von Grass aufführen wollten, trieften vor Nässe. Die Blechbläser bliesen tapfer in ihre Trompeten und Posaunen, doch mehr als ein Tröt und Schepper war nicht zu hören.
Auf der Parkbank aber sitzt seither einsam der kleine Oskar Matzerath. Im Haus gegenüber warten die Bewohner noch immer auf die von Grass erhofften Toiletten. Sie müssen sich wie eh und je ein Etagenklo mit ihren Nachbarn teilen. Doch die Kinder Danzigs wissen es schon heute: Wenn im Geburtshaus Günter Grass erst mal die Toiletten eingebaut sind, wird Oskar Matzerath nicht mehr allein auf der Parkbank sitzen. Denn mit den Toiletten kommt auch der Klomann. Der wird dann Pfeife rauchen, die schöne Fontaine bewundern und freundlich nicken, wenn er die Klospülungen hört.
GABRIELE LESSER
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