Diyarbakir feiert

Nach mehr als zwanzig Jahren ist jetzt auch in den beiden kurdischen Provinzen Diyarbakir und Sirnak der Ausnahmezustand aufgehoben

ISTANBUL taz ■ Ohne großes Aufsehen erlebte die Türkei am Wochenende eine historische Zäsur. Am Samstag endete nach mehr als zwanzig Jahren auch in den letzten beiden überwiegend kurdisch bewohnten Provinzen im Südosten der Ausnahmezustand. Damit ist der Bürgerkrieg offiziell beendet. Teilweise seit Ende der 70er-Jahre war es in den Provinzen an der syrischen, irakischen und iranischen Grenze zur vorübergehenden Verhängung des Ausnahmezustands gekommen. Seit dem Militärputsch 1980 haben die Provinzen Diyarbakir und Sirnak, in denen der Ausnahmezustand jetzt fiel, keine Normalität mehr erlebt.

Während man im Rest des Landes seit dem Ende der Kämpfe 1999 den Südosten kaum noch zur Kenntnis nimmt, feierte die Bevölkerung in Diyarbakir am Samstag ein Freudenfest auf den Straßen. Praktisch bedeutet das Ende des Ausnahmezustandes, dass die exzessiven Vollmachten von Gendarmerie und Polizei wieder den normalen gesetzlichen Beschränkungen unterliegen und die Verwaltung des Ausnahmezustandes aufgelöst wird.

Dieser Verwaltung, OHL genannt, stand ein „Supergouverneur“ vor, der den so genannten Kampf gegen den Terrorismus leitete und die gesamten Sicherheitskräfte koordinierte. Dieser Supergouverneur war im Südosten das Gesetz. Erst mit Auflösung von OHL kann nun die normale zivile Verwaltung wieder zum Zuge kommen.

Das ist vor allem für die vielen Kommunen, in denen Bürgermeister der prokurdischen Hadep regieren, wichtig, weil sie nun frei handeln können. So versucht die Verwaltung von Diyarbakir seit zwei Jahren, Bauern und Viehzüchter, die mit ihren Familien zu hunderttausenden als Opfer des Krieges in die Städte geflüchtet waren, zur Rückkehr in ihre Dörfer zu verhelfen, scheiterte dabei aber oft am Ausnahmezustand.

Das wird sich nun ändern. Doch ein großes Problem bleibt: Im Kampf gegen die kurdischen Aufständischen hatte der Staat so genannte Dorfschützer bewaffnet und als Hilfstruppen eingesetzt. Diese „Dorfschützer“ wurden weder entwaffnet, noch hat man ihnen Alternativen angeboten. Deshalb ist es nach Berichten des Menschrechtsvereins IHD in Diyarbakir in den letzten Monaten mehrfach vorgekommen, dass rückkehrwillige Flüchtlinge von bewaffneten Dorfschützern, die sich deren Felder angeeignet hatten, wieder vertrieben wurden. Es wird wohl noch einige Jahre dauern, bis die Hypotheken des Krieges abgetragen sind. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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