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Schikane oder Chance

Vor einem Jahr beschloss Rot-Grün, alle Arbeitslosen zu profilieren. Das heißt nichts anderes als Bewertung. Manche Betroffene empfinden die Kurse als Zwang, anderen machen sie neuen Mut

von RICHARD ROTHER

„Montagmorgen, neue Woche / ab geht’s wieder zur Maloche …“ Die Liedzeile des 80er-Jahre-Punksongs trifft auf die knapp 40 Akademiker, die sich im zweiten Stock eines Neuköllner Bürogebäudes zu Beginn dieser Spätherbstwoche eingefunden haben, nur bedingt zu. Zwar beginnt für die erwartungsfrohen Gäste dieser Weiterbildungsfirma ein neuer Lebensabschnitt – mit Arbeit hat er allerdings weniger zu tun, eher mit Arbeitslosigkeit. Die knapp 40 arbeitslosen Akademiker sind angetreten zum so genannten Profiling.

„Profiling“, das ist der neumodische Begriff für die individuelle Einschätzung der Wiedereingliederungschancen von Arbeitslosen, wie sie das vor rund einem Jahr beschlossene Job-Aqtiv-Gesetz der rot-grünen Bundesregierung vorsieht. Das Profiling beginnt mit einer kühlen Belehrung durch eine Mitarbeiterin des Arbeitsamtes. Die Anwesenden seien verpflichtet, an dem 14-tägigen Kurs teilzunehmen. Fehlten sie unentschuldigt, drohe die Sperrung des Arbeitslosengelds. Bei dem Kurs gehe es darum, die Chancen der Teilnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu erkennen und zu verbessern. Bei 290.000 Arbeitslosen in der Stadt sei das natürlich auch keine Garantie, wieder einen Job zu finden, aber vielleicht lasse sich ja etwas machen.

Die Arbeitslosen reagieren unterschiedlich: Mancher füllt erwartungsfroh seinen Anmeldebogen aus, andere schauen resigniert oder genervt drein. Sie sei nun schon zum dritten Mal in einem solchen Profilingkurs, sagt eine Landschaftsarchitektin. „Wie man eine Bewerbung schreibt, weiß ich.“ Davon werde die Lage in Berlin auch nicht besser. Aber wie sehe es mit ihrer Mobilität aus, will die Dame vom Amt wissen. „Ich bewerbe mich bundesweit, das weiß mein Arbeitsvermittler.“

Michael Steinmetz ist seit Anfang Oktober arbeitslos. Der ehemalige Wissenschaftsassistent an der Humboldt-Universität empfindet seine „Trainingsmaßnahme zur Verbesserung der Eingliederungsaussichten für Akademiker“ als eine reine Schikane. „Die Art, wie wir behandelt werden, wäre selbst bei straffällig gewordenen Jugendlichen strittig“, sagt er. Inhaltlich brauche das Profiling niemand, die Leute säßen einfach nur ihre Zeit ab. „Welcher Wissenschaftler braucht schon eine Einführung in die Internetrecherche, welcher Schauspieler Nachhilfe im rechten Auftreten?“, fragt Steinmetz.

Ähnlich sieht das Siegrid von Klinggräff. Die arbeitslose Reisebusfahrerin findet die Profilingkurse „beknackt“. Sie kritisiert, dass die Teilnehmer in ihrem Kurs Fahrgeld für ein zweiwöchiges Seminar bekommen haben, obwohl sie in der zweiten Woche nur einmal kommen mussten. „Wenn man das hochrechnet, ist das viel zusätzlich rausgeschmissenes Geld.“

Auch für Steinmetz ist das Ganze eine Verschwendung öffentlicher Mittel. Immerhin 365,40 Euro für 90 Unterrichtsstunden kassiert seine Weiterbildungsfirma. Dafür würden persönliche Daten der Arbeitslosen erhoben, was selbst mancher Trainer ablehne. Stein des Anstoßes ist vor allem der Fragebogen „Chanceneinschätzung“, der für jeden Profilingkunden vom Trainer ausgefüllt wird.

Diverse Persönlichkeitsmerkmale werden dabei als „günstig“, „neutral“ oder „ungünstig“ bewertet, darunter Eigenschaften wie „fachliche Kenntnisse“, „überregionale Mobilität“ und „Lohn- und Gehaltsvorstellungen“. Die weiteren Kriterien haben es in sich: Beurteilt werden etwa „gesundheitliches Leistungsvermögen“, das „Bewerbungsverhalten“ und das „Auftreten/Erscheinungsbild“. Für Steinmetz, der sich als ehemaliger Künstler in der Tradition der Anarcho-Rockband Ton, Steine, Scherben sieht, geht das entschieden zu weit: „Es ist zynisch, wie hier Menschen ohne ihr Wissen in Schubladen gesteckt werden.“

Auch der – wie es im Trainerjargon heißt – profilierte Redakteur der Obdachlosenzeitung Die Stütze, Helmut Gispert, schimpft: „Das ist Knochenpresserdialektik.“ Solche persönlichen Daten von Arbeitslosen dürften nur freiwillig erhoben werden; auch die Androhung von Arbeitslosengeldkürzungen sei rechtswidrig.

Professionelle Jobvermittler sehen die Profilingbewertungen freilich anders. Da potenzielle Arbeitgeber nicht nur auf die fachliche Qualifikation, sondern auch auf Motivation und Erscheinung möglicher Beschäftigter achteten, sei es wichtig, die Arbeitslosen auch für solche „Soft Skills“ zu sensibilisieren. „Am besten geschieht das aber mit dem Betroffenen zusammen“, sagt ein Branchenkenner. „Gegen seinen Willen erreicht man gar nichts.“

Dem kann Gülay Turgut, die ihr Profiling positiv sieht, nur zustimmen. Vor rund einem Jahr wurde die türkische Journalistin arbeitslos, weil ihr Verlag wegen der Wirtschaftskrise in der Türkei die Europa-Ausgabe der Tageszeitung Star einstellte. „Danach war ich wie gelähmt.“ Das zweiwöchige Profiling habe ihr Monate später wieder neuen Mut gemacht. „Ich wusste vorher gar nicht, wie man sich bewirbt oder ein Vorstellungsgespräch führt“, erzählt sie. Wichtig sei auch gewesen, mit Leuten in Kontakt zu kommen, die in einer ähnlichen Situation steckten. „Ich habe das Profiling als Chance gesehen.“ Mittlerweile hat sich die 41-Jährige selbstständig gemacht und führt Interviews mit Unternehmern für ein türkisches Branchenbuch. Sie sagt: „Wenn man sucht, findet man immer irgendetwas.“

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