am schanzentisch
: Noch geht selbst der Boulevard sanft mit „Hanni“ um

Ein Depp wie Eddie

Und dann haben sie noch dieses Foto geschossen von Sven Hannawald, dem Skispringer. Wie er durch die finnische Nacht stapft, den Kopf zu Boden gesenkt. Es ist kein fröhliches Bild, im Gegenteil. Und verstärkt wird die Traurigkeit durch das herüberschwappende Flutlicht eines Scheinwerfers, der einen Schatten malt von Hannawald. Weil der seine Sprunglatten geschultert hat, formt sich sein Abbild im Schnee nun zu einem großen, schwarzen Kreuz, das aus den Füßen Hannawalds erwächst – und irgendwie scheint das ganz passend.

Am Wochenende, im finnischen Kuusamo, ist Sven Hannawald, der deutsche Skisprungheld, abgestürzt. Beim ersten Springen brachte er es auf 79 Meter, beim zweiten gar nur auf 58. Das sind für einen wie ihn lächerliche Weiten, bei beiden Bewerben erreichte er noch nicht einmal das Finale der besten 30. „Das ist nicht Hannawald, der da springt, sondern ein Depp, der irgendetwas versucht“, selbstexekutierte der 28-Jährige sich danach, verbunden mit der Erkenntnis, dass auch er, der glorreiche Gewinner der letzten Vierschanzentournee, der Mannschafts-Olympiasieger, der „Winter-Schumi“ (Spiegel), nicht dagegen gefeit ist, „solch einen Scheiß zu springen“.

Das Erstaunliche daran: Gnadenloser wie Hannawald ging keiner um mit Hannawald, selbst die buntesten Medien nicht. Sogar die Haudraufs von Bild zeigten sich in ihrer Berichterstattung gleichermaßen geschockt wie handzahm – und fuhren das Ganze weit, weit hinten im dünnen Blatt und überraschend klein: „Nur 58 Meter – Hanni wie Eddie the Eagle“ hieß es da – mehr Spott als den Vergleich mit Britanniens „weltberühmtem Hinterherflieger“ gestatteten sich aber selbst die Bild-Männer nicht.

Noch nicht, wie zu befürchten steht. Denn natürlich werden die Bluthunde all der bunten Blättchen jetzt die Fährte aufnehmen; dass sie nicht schon diesmal zugebissen haben, könnte zum einen damit zu tun haben, dass ihr „Hanni“ ob seiner großen Verdienste aus der letzten Saison noch unter Denkmalschutz steht, aber auch damit, dass selbst die erfindungsreichsten Skandalerfinder mit einem Saisonstart wie diesem nicht gerechnet hatten – und ihre Kanonen schlichtweg nicht geladen waren, um noch aus der Hüfte auf den vom Adler zum abgestürzten Spatzen Mutierten ballern zu können. Aber das werden sie nachholen, garantiert. Die Frage, die es dafür zu beantworten gilt, hat Bild schon mal formuliert, aus Vorsorge: „Was ist bloß los mit ihm?“

Also: Was ist los mit Hanni? War er nicht früher mal magersüchtig? Hat er immer noch keine Freundin? Vor allem: Warum nicht, und wer verdammt noch mal war dann die Blonde oder Brünette oder was auch sonst immer, mit der man ihn demnächst bestimmt irgendwann einmal gesehen haben wird? Und dazu werden sie in großen Buchstaben böse Fragen stellen und verschwommene Fotos dazu zeigen. Fragen wie diese: „Hat sie ihm die Flügel gebrochen?“

So wird es kommen. Oder so ähnlich. Die Schonzeit wird jedenfalls vorbei sein, demnächst schon – und die Kanonen dann randvoll geladen, zumindest wenn „Hanni“ weiter so springt wie Eddie. Und es wird dann keine Rolle mehr spielen, dass es durchaus Gründe gibt, gute und nachvollziehbare, warum Sven Hannawald noch nicht in Form ist, nicht sein kann – und in Finnland deshalb zu Tal trudelte „wie ein kaputter Hubschrauber“ (SZ). Weil Skispringen eine sehr komplexe Sportart ist, kommt da schnell eins zum anderen, und am Ende können sich ein paar unglückliche Umstände verhängnisvoll zusammenketten. Bei Hannawald fing das im Sommer mit einer Knieoperation an, derentwegen er drei Monate nicht trainieren konnte. Dadurch fehlte ihm nicht nur der eine oder andere Trainingssprung, sondern auch Zeit, neues Material auszutesten; bedingt dadurch, konnte der 28-Jährige das Fluggefühl nicht finden, das einen guten Springer zu einem sehr guten macht, manchmal gar zum Überflieger – so wie ihn in der letzten Saison. Dieses Gefühl gilt es nun wiederzufinden, was durchaus seine Zeit dauern kann. Die Schlagzeilenmacher werden darauf keine Rücksicht nehmen. FRANK KETTERER