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Netzwerke der Erkenntnis

Das Labyrinth der Repräsentationen durchqueren: Nirgends dazuzugehören, sagt der Künstler Fareed Armaly, kann eine große Freiheit eröffnen. Seine komplexen Installationen verknüpfen konkrete Topografien mit der Frage ihrer medialen Darstellung

In Amerika haben wir damals Neue Deutsche Welle gehört – die Musik war interessant„Ich möchte nichts abschließen. Ich will gehen und alles offen lassen“

von DIETRICH HEISSENBÜTTEL

Der Grenzübergang von Kalandia, zwischen Ramallah und Jerusalem, aufgenommen im Frühjahr 2002. Menschen, die warten, und Panzer: „Checkpoint“ hieß einer der drei Räume in Fareed Armalys großer Documenta-Installation „From/To“. Das Video stammte von dem palästinensischen Filmemacher Rashid Masharawi. An der Wand hingen zwei Landkarten.

„Diese Karten zeigen nicht einfach nur Land, sondern die Kontrolle von Infrastruktur: Wasser, Signale, Elektrizität etc.“, erklärt Armaly. „Sie entstanden während der Verhandlungen in Oslo. Es gab damals keine Karten, alle hatten Angst, sich festlegen zu müssen. Wenn man diese Karten einfach nur in ihrer Struktur betrachtet, zeigen sie ein Labyrinth. Ein Labyrinth ist dazu gemacht, etwas zu verbergen. Es gibt ein Geheimnis, und die Angst, es könnte entdeckt werden, daher die Checkpoints, die von einer Seite dieses Geheimnis bewachen.“

Okwui Enwezor hatte Armaly ausdrücklich dazu eingeladen, das bereits 1999 im Rotterdamer Witte de With gezeigte Projekt für die Documenta zu aktualisieren. Denn die damaligen Hoffnungen auf den Friedensprozess waren inzwischen zu Staub zerfallen. Kurz nachdem Masharawi den Grenzübergang aufnahm, rückten die Panzer in die Palästinensergebiete vor. „Es war sehr mutig von Enwezor, das zu machen“, sagt Armaly, „er hat viel Kritik einstecken müssen. Aber meine Arbeit greift niemanden an.“ Masharawis Kamera zeigt keine gewalttätigen Szenen. Von einem fixen Standpunkt beobachtet sie das Geschehen. Teilnahmslos zeigt sie eine Situation, die für Palästinenser aus Ramallah zum Alltag gehört.

Armalys Vater stammt aus Palästina, seine Mutter aus dem Libanon. Doch während Masharawi im Flüchtlingscamp Schati zur Welt kam, in Ramallah ein Filmhaus leitet und unter anderem in Palästina ein Kinderfilmfestival veranstaltet, bei dem im vergangenen Jahr 90.000 Besucher gezählt wurden, ist Armaly selbst in den USA geboren und aufgewachsen. „Ich habe ein großes Problem damit, wenn ich als arabischer Künstler angesprochen werde“, bekennt er. „Ich bin Amerikaner. Aber niemand ist einfach amerikanischer Abstammung, die Ureinwohner einmal ausgenommen. Amerikaner muss man werden, du musst einen Entscheidungsprozess durchmachen.“

Armalys Eltern sind Mitte der Fünfzigerjahre nach Amerika ausgewandert. „Die Geschichte der Araber in Amerika verläuft in zwei gegensätzlichen Richtungen. Bis in die Sechzigerjahre versuchten alle, sich zu assimilieren. Danach gab es eine Deassimilation.“ Dieses Hin und Her zwischen Identifikation und Abgrenzung prägte Armalys Jugend und zwang ihn, sich über seinen Standpunkt Gedanken zu machen. „Aber was als quälend empfunden werden kann, nirgends richtig dazuzugehören, kann auch eine große Freiheit eröffnen. Das war die Erfahrung der Achtzigerjahre.“

Armaly macht einen Unterschied zwischen Identität und Herkunft. Wie der jamaikanisch-britische Soziologe Stuart Hall fragt er lieber nach den routes, nach Wegen in die Zukunft, statt sich nostalgisch nach seinen roots, der geografischen Herkunft seiner Familie und einer traditionellen Kultur, zurückzusehnen, die es ohnehin nicht mehr gibt. „Zu meiner Identität gehört alles, mit dem ich mich identifizieren kann“, sagt Armaly, „auch Musik und Film aus Deutschland aus den Achtzigern, zum Beispiel, die Neue Deutsche Welle. In Amerika haben das manche von uns damals gehört, es war eine fremde, unverständliche Sprache, doch die Musik war interessant, darauf kommt es an.“ Und er fügt hinzu: „Aber auch im Falle palästinensischer Fotografen oder Filmemacher wie Rashid Masharawi stellt sich doch die Frage: Was bedeutet ‚arabisch‘? Wir sind ungefähr dieselbe Generation, er ist etwas jünger. Er ist in einem Flüchtlingslager aufgewachsen und hat sich bewusst dafür entschieden, in Palästina zu bleiben. So sind wir in einen Dialog getreten.“

Wie in „From/To“ webt Armaly in seinen künstlerischen Arbeiten Netze von Bezügen, die zumeist von einer bestimmten Topografie ausgehen. So beschäftigte er sich in „Brea-kd-own“ (Brüssel 1993) und „Parts“ (München 1997) unmittelbar mit der Architektur der Ausstellungsgebäude, um auf diese Weise nach dem Ort der Kunst zu fragen, der für ihn nicht an den Wänden des Museums endet. Bei einer Ausstellung 1992 in Le Corbusiers „Unité d’Habitation“ verwies ein Raï-DJ auf das urbane Umfeld des berühmten Gebäudes. Als Armaly das Projekt zwei Jahre später in Hamburg vorstellte, beteiligte er jugendliche Sprayer. „Das Interessante an Kunst ist, dass es sich um ein offenes Feld handelt. Im Gegensatz zu anderen Bereichen ist die Definition einer künstlerischen Praxis nicht festgelegt, und genau darum geht es.“

Indem Armaly in seine Arbeiten Designer und Architekten, Historiker und Geografen, Fotografen und Filmemacher mit einbezieht, konstruiert er Netzwerke der Erkenntnis, die jedoch nicht auf objektives Wissen ausgerichtet sind, sondern den medial turn vollziehen: Die Kunst besteht darin, dass diese Beiträge, von ihrer üblichen Zweckausrichtung befreit, ihre Gemachtheit, ihre Medialität, ihre Darstellungsmittel enthüllen. Denn hinter der Art und Weise, wie etwas in den verschiedenen Medien erscheint, verbirgt sich immer eine bestimmte Politik. Armaly spricht von politics of representation und fügt hinzu: „Ich frage mich: Was ist dabei die Rolle der Kunst? Es ist ein Vexierspiel, das kann verwirrend sein, eröffnet aber auch die Möglichkeit, damit zu spielen.“

Ein solches Vexierspiel ist auch „>redirect“, eine multimediale Ausstellung und Veranstaltungsreihe, mit der Armaly seine Tätigkeit am Stuttgarter Künstlerhaus beendet. Vier Jahre lang war Armaly künstlerischer Leiter des 1978 von René Straub gegründeten Hauses. Die dringend notwendige Sanierung des Altbaus aus der Jahrhundertwende nutzte er, um auch die inhaltliche Struktur grundlegend zu überarbeiten. „Haus.0“ nennt Armaly sein Programm für das Künstlerhaus, das Ziegelmauern und Website zu einer untrennbaren Einheit verbindet: Zu den Plug-ins zählt er neben der Internetadresse auch die Ton- und Filmstudios und die Zeitschriftenbibliotheken des Hauses.

Das Programm definiert die Identität des Hauses: „Das ist es, worum es an einem Ort wie dem Künstlerhaus geht, eine eigene, starke Identität aufzubauen, dann kommen die Leute zu dir.“ Armaly spricht auch von einem Script, das die Struktur des Programms definiert, ohne die Art der Anwendung festzulegen. Die Identität des Hauses besteht einerseits aus den Möglichkeiten, die das Programm eröffnet, andererseits aus der Geschichte der im Verlauf seines Bestehens realisierten Projekte.

Einige dieser Projekte aus den letzten Jahren sind nun auch in der Reihe „>redirect“ zu sehen und zu hören. Dazu zählt Rashid Masharawis „Waiting“, eine Aufnahme, die auch auf der Documenta zu sehen war, ebenso wie das Video „Stadtluft“ von Wendelien van Oldenborgh, die das Vordach eines öffentlichen Toilettenhäuschens als Bühne des alltäglichen Dramas von Wohnsitzlosen begreift. In allen drei Fällen liegt zwischen Realität und Fiktion nur eine hauchdünne Grenze.

Genau darum geht es in „>redirect“: um die Art und Weise der Darstellung – nicht unbedingt nur in künstlerischen Arbeiten –, um die Reflexion kultureller Praktiken und um die Verschiebungen, die zutage treten, wenn die Dinge ihren Kontext wechseln. Im Mittelpunkt der Reihe stehen zwei Epoche machende Aufzeichnungen: Jean Rouchs ethnografischer Film „Les maîtres fous“ von 1955 zeigt ein westafrikanisches Ritual, bei dem die Teilnehmer nicht von traditionellen Göttern, sondern von den Geistern der Kolonialherren heimgesucht werden. Obwohl der Film von Priestern des Hauka-Geheimbundes selbst in Auftrag gegeben wurde, konnten sich in Europa lebende Afrikaner damals mit diesem Bild von Afrika nicht identifizieren. Das zweite Objekt ist eine riesige Schallplatte, die 1977 mit der Voyager-Sonde ins Weltall geschickt wurde. Sie enthält Sprach- und Musikaufzeichnungen aus aller Welt sowie eine Sammlung natürlicher Geräusche und Tierstimmen.

Zu diesen beiden Dokumenten treten die verschiedenen künstlerischen Projekte in immer wieder andere Beziehungen. Christian Marclays „Record without a cover“ hebt statt der Tonspur die Kratzer auf der Schallplatte hervor. John Akomfrah, Gründer des Londoner „Black Audio Film Collective“, verbindet in seinem Film „The Last Angel of History“ anhand der Gegenwelten von Musikern wie Sun Ra, George Clinton und Lee Perry Raumfahrt und schwarze Kultur. Von dort aus führt ein Weg zurück zu Isaac Juliens Film „Black and White in Colour“ über die Darstellung Schwarzer im britischen Fernsehen, und schließlich zu den Dokumentationen des zur Eröffnung der Reihe anwesenden amerikanischen Filmkritikers Noel Burch über verschiedene Episoden aus der Frühzeit des Films.

Zuweilen führt die Erörterung der Arbeiten der Reihe „>redirect“ in ein wahres Labyrinth von Geschichten: Wie die verschiedenen Zeichnungen von Raymond Pettibon und anderen zum Thema Patty Hearst aus der TwoDo Collection des Aachener Fotografen Wilhelm Schürmann. Sie entstanden ursprünglich im Sinne eines Product Placement von Kunstwerken in der beliebten amerikanischen Fernsehserie „Melrose Place“, die wiederum Fareed Armaly und Rainer Kirberg zu ihrem Drehbuch-Workshop „Melrose Plays“ anregte.

Ein Labyrinth? Im Gegensatz zu dem Labyrinth, das noch aus einer früheren Arbeit in der vierten Etage des Stuttgarter Künstlerhauses auf den Boden gezeichnet ist, bilden Armalys Netzwerke keine geschlossenen Systeme. „Ich möchte ein Feld öffnen“, bekennt Armaly, und in Hinsicht auf das Ende seiner Stuttgarter Tätigkeit: „Ich möchte nichts abschließen. Ich will gehen und alles offen lassen.“

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