: In Hessen bricht der Schulkampf wieder aus
In Wiesbaden gibt es etwas, das es aus CDU-Sicht nicht geben darf: Eltern und Schüler sind scharf auf Gesamtschulen. Die Union rücktden erfolgreichen fünf Schulen nun mit einem Trick zu Leibe: Sie will ihnen mehr SchülerInnen zuweisen – und sie damit kaputtmachen
BERLIN taz ■ Jedes Jahr melden sich in Wiesbaden hunderte SchülerInnen dort an, wo sich andernorts viele abmelden: An einer der fünf integrierten Gesamtschulen. Für 200 BewerberInnen endet der Run alljährlich mit einer Abweisung. In beinahe allen Bundesländern wäre die Wiesbadener Situation Anlass zur Freude.
Nicht so in der hessischen Landeshauptstadt. Die Wiesbadener CDU ist gewillt, ihr luxuriöses Gesamtschulproblem zu lösen – auf eine eigentümliche Art. Die älteste der betroffenen Gesamtschulen, die renommierte Helene-Lange-Schule, soll ihren Sonderstatus verlieren. Und in den anderen vier Schulen sollen die Schüler zusammenrücken. „Das würde den Tod unserer Schulen bedeuten“, sagt Gerd-Ulrich Franz, der Leiter der Gesamtschule in der Kastellstraße.
Es hört sich vernünftig an, wenn der CDU-Fraktionschef im Magistrat über Gesamtschulen spricht. Bernhard Lorenz sagt zum Beispiel, die beliebtesten Schulen Wiesbadens sollten einen neuen Zug aufbauen, um die große Nachfrage zu befriedigen. Tatsächlich ist Lorenz’ scheinbar simpler Vorschlag „ein Frontalangriff auf das Konzept der Wiesbadener Gesamtschulen“. So sagt es Enja Riegel, die Leiterin der Helene-Lange-Schule.
Das architektonische Konzept gehört zu den erfolgreichen Einheitsschulen, die Schüler verschiedener Lernniveaus bewusst nicht trennen, wie das Buch zum Lesen. „Schule in der Schule“ heißt es, bei dem jeweils eine Jahrgangsstufe in einem eigenen Lernrevier zu Hause ist. „Das ist ein fester Ort. Da gehört das Jahrgangsteam von Lehrern dazu, die ihre Schüler bis zum Abschluss begleiten“, erklärt Rektor Franz das Modell. Die Schulen sind klein, überschaubar, konkret.
Wer einen Container im Schulhof aufstellt oder eine Kammer für eine Klasse freimacht, der sprengt das Modell. Für Franz wäre das ein Zurück zum alten Gesamtschulsystem, „bei dem eine Klasse jede Stunde den Raum wechseln musste“. Ein gescheitertes System – weil es passieren konnte, dass eine Klasse weit über 20 verschiedene Lehrer hatte. Die Struktur der Wiesbadener Gesamtschulen ist eine bewusste Antwort auf das Scheitern. „Wir wollten weg von der anonymen Schulfabrik, und wir hatten Erfolg damit“, so Franz.
Die Geschichte der Wiesbadener Gesamtschulen ist die der Helene-Lange-Schule. Vor 15 Jahren begann die Schule alles umzukrempeln. „Wir wollten ganz neu Schule machen“, sagt Enja Rigel: Keine Noten in der fünften und sechsten Klasse. Offenes Lernen, viel Projektunterricht und lange Praktika außerhalb der Schule. In der „Hela“ kann es passieren, dass vier Wochen lang Theater auf dem Lehrplan steht. Jeden Tag.
Was sich für manche Eltern wie organisierte Verwahrlosung anhört, hat der Schule einen grandiosen Ruf eingebracht. Sie gilt als international bekannte Wallfahrtsstätte für Reformpädagogen und Musterexemplar dafür, dass deutsche Schulen auch anders können. Die „Hela“ hat auch vor Ort gewirkt. „Die löste die Initialzündung hier aus“, berichtet Gerd-Ulrich Franz. Weil bei Langes bereits seit 1987, zwei Jahre nach der Gründung, kein Platz für Schüler mehr war, bildete sich bald eine neue Schule ähnlichen Typs heraus, die Kastellstraße.
Inzwischen sind zwei weitere integrierte Gesamtschulen hinzugekommen – trotzdem kann die Nachfrage nicht gestillt werden. Franz: „Wir haben eine pädagogische Alternative zur gegliederten Schule aufgebaut. Die Eltern haben ein Bewusstsein für unsere Gesamtschulen.“
Ein Bewusstsein, das es bei der hessischen CDU nicht gibt. Als herauskam, dass die Helene-Lange-Schule bei Pisa traumhafte Noten erzielte, jubelte das ganze Land über das „Mekka der deutschen Pädagogik“ – nur die Union rümpfte die Nase. Die guten Pisa-Noten seien allenfalls ein Teilergebnis, sagte die Bildungssprecherin der Wiesbadener CDU, Roselore Scholz.
Rektor Franz kann da nur zynisch lachen. „Hier ist der Schulkampf neu ausgebrochen.“
CHRISTIAN FÜLLER
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