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Ärzte warnen Innenminister

Pläne zur leichteren Abschiebung von abgelehnten Flüchtlingen stoßen auf Widerstand bei Bundesärztekammer und Grünen. SPD-regierte Bundesländer wollen einen speziellen Ärzte-Pool bilden, der ausschließlich die Flugtauglichkeit untersuchen soll

von LUKAS WALLRAFF

Der Streit um die ärztliche Behandlung von Abschiebekandidaten nimmt an Schärfe zu. Kurz vor der Innenministerkonferenz (IMK) in Bremen hat sich gestern auch das SPD-regierte Niedersachsen dafür ausgesprochen, einen bundesweiten „Ärzte-Pool“ zu bilden, um Abschiebungen künftig reibungsloser durchführen zu können. Gegen die Pläne der Innenminister protestierten die menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Christa Nickels, und mehrere Ärzteverbände. Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Ursula Auerswald, warnte die Minister vor einer Missachtung ethischer Grundsätze: „Sind wir in Deutschland schon wieder so weit, dass Ärzte veranlasst werden sollen, ausländische Menschen als Menschen zweiter Klasse zu behandeln?“

Wie die taz gestern berichtete, beraten die Innenminister ab heute über „Probleme bei der Rückführung von Ausländern“. Damit ist unter anderem die Weigerung vieler Ärzte gemeint, vor Abschiebungen ausschließlich die „Flugreisetauglichkeit“ zu überprüfen und andere Aspekte wie psychische Belastungen zu vernachlässigen. Von einem staatlich organisierten Ärzte-Pool erhoffen sich die Minister offenbar bessere Kooperation.

Nordrhein-Westfalen als Bericht erstattendes Land wird auf der IMK die Ergebnisse einer so genannten „Arbeitsgruppe Rück“ vorlegen. Nach Informationen der taz heißt es in der Vorlage der Expertenrunde wörtlich: „Die Begutachtung einer behaupteten Flugreiseuntauglichkeit soll möglichst kurzfristig einem Kreis besonders qualifizierter Ärzte übertragen werden.“

Auch bei der umstrittenen Flugbegleitung bei Abschiebungen durch Mediziner stellen sich frei praktizierende Ärzte bisher häufig quer. Nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe sollen sich die Bundesländer gegenseitig aushelfen, „um über Rückgriff auf dieses Personal gegebenenfalls eigene Probleme bei der Gewinnung medizinischen Fachpersonals zu verringern“.

Die Vorschläge der Arbeitsgruppe hätten bei Vorbesprechungen „auf Staatssekretärsebene“ bereits eine Mehrheit gefunden, teilte der Sprecher von Niedersachsens Innenminister Heiner Bartling (SPD) mit. Niedersachsen begründet seine Zustimmung damit, dass momentan jede zweite Abschiebung an vorgetragener Reiseunfähigkeit scheitere, „ganz überwiegend aus psychischen Gründen“. Wenn es nicht gelinge, mit den jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen dieser Entwicklung zu begegnen, werde „die Durchführung von Abschiebungen noch weiter erschwert, verzögert und in vielen Fällen unmöglich gemacht“.

Auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) stehe den Vorschlägen aus Nordrhein-Westfalen „aufgeschlossen“ gegenüber, sagte sein Sprecher. Auf der Konferenz in Bremen solle über eine „Konkretisierung“ aber nur „beraten“ werden.

In der offiziellen Beschlussvorlage wird Bremens Innensenator Kuno Böse (CDU) aufgefordert, „mit der Bundesärztekammer Gespräche aufzunehmen“. Dies dürfte schwierig werden. Ärztekammer-Vize Auerswald hält überhaupt nichts von einem Ärzte-Pool und betont, dass die Begutachtung von Flüchtlingen „durch unabhängige Ärztinnen und Ärzte zu erfolgen hat“. Die Grünen-Abgeordnete Nickels sagte, sie sei „strikt dagegen“, die Untersuchungen von Abzuschiebenden auf die reine Flugreisefähigkeit zu beschränken.

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