Tony Blair will weiter Nein sagen dürfen

Der britische Premier lehnt Mehrheitsentscheidungen über Sicherheits- und Steuerpolitik ab. Wie er die EU reformieren will, bleibt unklar

DUBLIN taz ■ „Schwach, zögerlich und schwerfällig“ sei die EU, so Tony Blair vor einer Woche in einer europäischen Grundsatzrede in Cardiff. Nötig seien „dramatische Veränderungen“, vor allem im Bereich der Verteidigungspolitik. „50 Jahre nach Beginn des europäischen Projekts hat sich die Welt so sehr verändert, dass sie kaum wiederzuerkennen ist“, sagte der britische Premier. „Europa muss sich auch verändern.“

Die EU verändern wollen auch die Regierungen von Paris und Berlin, dennoch dürfte Blair angesichts des deutsch-französischen Vorpreschens im Konvent derzeit schlecht schlafen. Denn die Reformvorstellungen gehen weit auseinander. Blair, der Großbritannien gern als „besten Freund Amerikas“ bezeichnet, möchte die EU-Verteidigungspolitik eng an die Nato anbinden. So interpretierte er auch die britisch-französische Initiative von St. Malo aus dem Jahr 1998, während die Franzosen glaubten, mit der Initiative sollte die Nato eher auf Distanz gehalten werden.

Das ist auch der wichtigste Unterschied zwischen dem deutsch-französischen und dem britischen Papier für eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Blair sagte: „Die Expansion der Nato und die Erweiterung der EU bedeuten nichts weniger als die Schaffung eines neuen Europa.“ Im britischen Papier heißt es, enge Verbindungen zwischen der EU und der Nato seien „unverzichtbar, um überflüssige Duplikationen zu vermeiden“.

Europas Verteidigungspolitik soll sich der US-Führung unterwerfen, wenn es nach Blair geht. Ein rotes Tuch ist für ihn auch der Vorschlag, dass über die „verstärkte Zusammenarbeit“ nur einiger Staaten bei der Verteidigungspolitik mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt wird. Einig scheint man sich lediglich darin, dass man eine Behörde einsetzt, die Waffen und Personal koordiniert – eine Art Einkaufsgemeinschaft für schweres Kriegsgerät. Wenig Vergnügen bereitet Blair auch die deutsch-französische Initiative zur Steuerharmonisierung. Die Regierungen in Berlin und Paris halten es für Wettbewerbsverzerrung, wenn Länder wie Irland ausländische Investoren mit niedriger Körperschaftsteuer anlocken. Estland, das 2004 der EU beitreten will, verfolgt eine ähnliche Politik. Nach Ansicht von Deutschland und Frankreich sollen Einkommen- und Vermögensteuer Sache der Länder bleiben, Körperschaft- und Mehrwertsteuer möchte man angleichen. Großbritannien kämpft auch gegen eine weitgehende Ausdehnung von Mehrheitsentscheidungen. „Alle Mitgliedsstaaten haben eine Schmerzgrenze, wenn es um Aufgabe ihres Vetos geht“, sagte Blair. „Für Großbritannien ist es zum Beispiel die nationale Kontrolle der Steuern.“

Weitgehend einig ist sich Blair hingegen mit Frankreichs Präsident Chirac über die künftige Rolle der EU-Präsidentschaft. „Europas Führung ist zu schwach“, sagte er in Cardiff. „Der ständige Wechsel bei der Ratspräsidentschaft produziert Ineffizienz und Inkonsistenz. Wie kann Europa bei internationalen Gipfeln ernst genommen werden, wenn der Ratspräsident heute hier sitzt, aber morgen schon wieder weg ist?“ Während die deutsche Regierung auf eine Stärkung der EU-Kommission setzt, wollen Frankreich und Großbritannien mehr Macht für den Ministerrat und seinen Präsidenten. Für den britischen Premierminister, so munkeln seine Kritiker, kommt für diesen Posten nur einer in Frage: Tony Blair.

RALF SOTSCHECK