: Links, umworben, autoritär
Neu an der Spitze von Attac Frankreich ist der Kommunist Nikonoff. Er wurde nicht gewählt, sondern per Fingerzeig bestimmt. Das führte zu Protesten an der Basis
PARIS taz ■ Seit die Linke die Wahlen verloren hat, ist Attac France umworben wie nie. Die jüngste Sympathiekundgebung für die „Vereinigung für die Besteuerung von internationalen Finanzspekulationen“ kommt aus dem sozialdemokratischen Rathaus von Paris. Für Attac France will der Bürgermeister zusammen mit seinem Kollegen aus der Vorstadt Saint-Denis im kommenden November die Lokale für das zweite europäische Sozialforum zur Verfügung stellen. Zigtausende von GlobalisierungskritikerInnen werden erwartet.
Die Einladung aus dem Pariser Rathaus kam vergangene Woche, wenige Tage nachdem Attac France einen neuen Präsidenten bestimmt hatte: Jacques Nikonoff. In seiner Antrittsrede zeigte der 50-jährige Kampfbereitschaft – nicht nur gegenüber den rechten Machthabern, sondern auch gegenüber der verflossenen rot-rosa-grünen Regierung. Nikonoff erinnerte daran, dass der sozialdemokratische Expremierminister Jospin der „größte Privatisierer der fünften Republik“ war. Und dass sein kommunistischer Minister Gayssot „den Privatisierungsprozess bei Air France einleitete“. Von Attac dürften die Exregierungsparteien daher keinerlei Hilfe bei „Neugründungsversuchen“ erwarten, sagte Nikonoff.
So klare Worte hatten nicht alle von ihm erwartet. Schließlich stammt der Nachfahre russischer Einwanderer in Frankreich selbst aus dem Apparat einer Exregierungspartei. Nach beruflichen Anfängen als Schweißer war Nikonoff Hauptamtlicher in der Gewerkschaft CGT geworden – zu einer Zeit, als diese noch der offizielle „Transmissionsriemen“ der Kommunistischen Partei war. In den 80er-Jahren begann Nikonoff auf dem dritten Bildungsweg seine akademische Karriere. Nach Abschluss der Eliteschule ENA war er Berater für eine französische Staatsbank in New York. Zurück in Paris holte KP-Chef Robert Hue ihn im Frühjahr 2000 in das Exekutivkomitee der Partei. Doch im Oktober 2001, als viele das sinkende Schiff KP verließen, stieg Nikonoff Türen knallend aus dem Führungsgremium aus.
Seither galt der Wirtschaftsprofessor, Buchautor und Kritiker der liberalen Globalisierung in Paris als möglicher neuer Mann an der Spitze von Attac France. Er bringt wertvolle Insiderkenntnisse der „Märkte“ und der Pensionsfonds mit. Damit ist er für das wichtigste innenpolitische Thema gewappnet. Denn 2003 wollen die Rechten die Rentenversorgung privatisieren.
Zum Präsidenten von Attac wurde Nikonoff von seinem Vorgänger Bernard Cassen bestimmt, der gleichzeitig auch Herausgeber der Monatszeitung Le Monde diplomatique ist – per Fingerzeig und ohne Gegenstimmen. Dieser autoritäre Stil sorgte an der Basis für Unruhe und sogar für den Austritt der Ortsgruppe Aix-en-Provence. Nikonoffs offizielle Amtseinführung am letzten Novemberwochenende hingegen verlief glatt. Bloß ein einziges Mitglied verließ die Organisation – weil Nikonoff Kommunist ist.
Mit seinen 30.000 Mitgliedern, unter ihnen Leute aus sämtlichen Parteien der Linken, ist Attac France vier Jahre nach seiner Gründung eine Erfolgsgeschichte. Allein in diesem Jahr wurden 9.000 neue Mitglieder registriert. Nikonoff reicht das noch lange nicht. „Die rechtsextreme Front National hat 12.000 neue Mitglieder gewonnen“, sagt der frisch ernannte Präsident und fordert seine MitstreiterInnen auf, dort aktiv zu werden, wo die linken Parteien das Terrain verlassen haben: in den Wohnsiedlungen, in Fabriken, Büros und Universitäten.
DOROTHEA HAHN
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