: Die teuerste taz-Kolumne aller Zeiten
Der Trabant als Event zum Buch
Das ist die teuerste Berliner Ökonomie der taz-Geschichte. Das behaupte ich jetzt mal so lange, bis mir das Gegenteil bewiesen wird. Leider bezahlt sie nicht die taz, sondern ich, aber der Reihe nach.
Fast fünf Jahre hatte der uralte Kübeltrabi in einer Garage vor sich hin gemodert, ein Rad war festgerostet, Vandalen hatten die Kabel aus dem Motor gerissen und die Seitenketten gestohlen, jede Woche hatte ich befürchtet, dass der Abriss der baufälligen Autohütte beginnen und das Fahrzeug auf den Müll gebracht würde, auf den es nach Meinung der westdeutschen Bauherren bestimmt gehörte. Aber immerhin hatte ich über das Auto einen Roman geschrieben und schuldete ihm damit was.
Dann war es so weit, die Abrissarbeiten begannen, die Zeit der jahrelangen illegalen Gratisnutzung der Garage war vorbei. Ich musste den Trabi retten, mit einer Art Skatebord unter dem blockierten Rad schob ich ihn auf öffentliches Straßenland und brachte ihn in die Werkstatt. Der Kostenvoranschlag ergab mit der hellgrünen Lackierung, der Farbe des Schutzumschlags meines Buchs, 2.500 Euro. Der Verlag hatte sich zur Unterstützung des Projekts mit 1.000 Euro bereit erklärt, und ich fand das keine dumme Entscheidung. Immerhin hatte die PDS seinerzeit mit diesem Fahrzeug die Wahl gewonnen, Gregor Gysi war farbig im Spiegel abgedruckt, wie er vor dem Palast der Republik herumgurkte.
300 Euro kostete das neue PVC-Verdeck von Trabantteile.de, wo man sich mit Zweitaktergrüßen verabschiedet. 250 Euro, sagte der Klebefolienmann, würden die zusätzlichen Beschriftungen mit meinem Namen, dem Romantitel „Trabanten“ und dem Verlagsnamen kosten und natürlich dem Bild des Spielzeugautos, das so eine Art Logo des Buches ist. 100 für die Reifen kamen noch dazu, 100 für die Gurte, 80 für die Montage des Verdecks, 70 für eine Woche Versicherung samt Nummernschild und 10 Gebühren. Noch nicht enthalten das Vollgutachten vom TÜV. Aber ich ging inzwischen sowieso von ungefähr 10.000 aus, die das Auto aufs Jahr gerechnet kosten würde. Mein Trost war nur die Hoffnung auf ein erneutes Spiegel-Foto, dann hätte sich die Investition gelohnt. Aber da kam Augsteins Tod dazwischen.
Mein Plan war, den Wagen später mal vor jener Buchhandlung stehen zu lassen, mal vor dieser, als fahrendes Werbeplakat. Und wenn der Durchbruch auf die Bestsellerliste trotzdem nicht erfolgte, könnte ich immer noch einen Cowboyhut kaufen und mein Glück als übers Land ziehender Countrysänger versuchen. Das Lied mit diesem Zweitaktersound spielen sie merkwürdigerweise jetzt zur Weihnachtszeit wieder überall, ich habe es ins Deutsche übertragen: Er fährt durch Nacht und Wind, daramtatatatam. Darin wir glücklich sind, daramtatatatam. Ihn kannt einst jedes Kind, daramtatatatam, ramtatatatam, ramtatatatam. Sein Herz schlägt so geschwind, daramtatatam.
Der Steuerberater riet auch nicht ab. Zum Nachweis der rein gewerblichen Nutzung müsste ich ein Fahrtenbuch führen, kein Problem, das mache ich sowieso schon immer.
„Literatur als Event“, eine Veranstaltung am Wannsee, da musste er fertig sein, das war der äußerste Termin, den ich mir gesetzt hatte, wo die Buchmesse schon gelaufen war. Aber als ich die Überführungsnummernschilder holen wollte, hatte ich keinen Ausweis dabei. Erst am allerletzten Tag hatte ich sie bereit, und in der Nacht stand ich mit dem Klebefolienmann am Wagen: „Tattoos für das Auto“, befand meine Tochter.
Schließlich fuhr ich los, leichtes Rütteln des Lenkrads und ein seit Jahren nicht mehr aufgetretenes Zucken des linken unteren Augenlids zeigten sich wieder, und die Kälte kroch in meine dünnen Schuhe. Doch dann stellte ich das Fahrzeug vor der Villa des Literarischen Colloquiums am Wannsee ab, ich hatte es geschafft. Doch am Abend erlebte ich eine schreckliche Enttäuschung: Das Auto stand so vor einer Laterne, dass die aufwändige Bebilderung und Beschriftung völlig im Schatten lagen und wohl niemand etwas von meinen Mühen und Kosten ahnen konnte.
Auf dem Podium in der Villa saßen viel mehr Leute als angekündigt. Stephan Porombka erklärte erst mal, was ein Event ist, Literaten, die bei Events mitwirken, gerieten bei Kritikern in den Verdacht, ihre Bücher verkaufen zu wollen. Ich überlegte, ob ich meinen Wagen doch lieber wieder woandershin fahren sollte. Im Kaffee Burger, erklärte Porombka weiter, finde das jeden Abend statt, dass die Leute 6 Euro Eintritt zahlen, um die Vorlesenden zu ignorieren. Literatur wie die der Surfpoeten erreiche nicht die Qualität der in Literaturhäusern dargebotenen, wieso gehen die jungen Leute trotzdem dorthin?
Ich sprach danach den Mann vom Literaturhaus Köln an, wie viel Bücher man denn geschrieben haben müsse, um bei ihm lesen zu können? Ich sei bei ihm auf dem Screen, erhielt ich zur Antwort, so ’ne Clubbing-Radiosendung, die wäre vielleicht noch geeigneter, ich mache doch so was, „Literatur auf hoher See“ oder so? Ich schob den Trabi dann etwas besser ins Licht, und auf der Heimfahrt mit der S-Bahn fiel mir ein, dass die Babysitterin auch noch 30 bekommt. FALKO HENNIG
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