Niemand nimmt Notiz

Wenn man denkt, man denkt, dann denkt man nur, man denkt: Die Geschichte eines einsamen Ausflugs nach Prenzlauer Berg, bei dem einiges hätte passieren können, bei dem dann aber gar nichts passiert ist. Jedenfalls nichts, das nicht immer passiert

von FELIX BRANDHORST

Die Sauna im Hof hat 85 Grad. Ich öle durch alle Kanäle. Aus dem Fenster mustere ich das Pärchen, das sich auf den Liegestühlen im Hinterhof ausruht. Eben, als die Frau mir allein gegenübersaß mit ihrem Violinenkörper im Schwitzkasten, konnte ich mich zu Spekulationen über einen sinnlichen Draht zwischen uns inspirieren lassen.

Nachdem die Sanduhr durchgelaufen ist, gehe ich, das Handtuch um die Hüfte gebunden, über die groben Kieselsteine im Hinterhof und lümmele mich auf eine Bank an der Seite. Die Luft ist frisch und klar, der Atem bildet dichte Schwaden. Gänsehaut. Die zwei in den Liegestühlen gegenüber wirken entspannt. Ob sie sich wundern, warum ich fortwährend gucke? Ich flüchte ins Wasser des Sitzbeckens. Zum erstem Mal überhaupt lasse ich mich komplett einsinken. Kaltes klares Wasser. Alles eine Frage der Beherrschung, wie Jacques, der Autohändler, sagt: Unter der Haube muss die Show weitergehen. Im Vorbeigehen reiße ich das Handtuch vom Haken, springe in die Hose. Beiläufig zahle ich und verabschiede mich.

Ich laufe über den Wasserturmplatz, mittlerweile ist es dunkel geworden und noch etwas kälter. Wolkenloser Himmel. Die Kommandantur ist jetzt ein italienisches Restaurant mit original Steinofenpizza, heißt aber immer noch Kommandantur. Etwas weiter das Anita Wronski ist zwar noch das alte Wronski, heißt auch so, war aber seit eh und je langweilig, also genau richtig für ein schnelles Bier. Noch von draußen fällt mir auf, wie leer es ist. Ich gehe hinein, bestelle und warte am Tresen auf das Bier. Dann mache ich es mir am Fenster gemütlich, zünde eine Zigarette an und nehme einen kräftigen Schluck. Die Maxime des Tages: keine Blicke stehlen. Verfügbarkeit zu suggerieren funktioniert eben nur, solange man offensichtlich nicht verfügbar ist. Was übrigens gar nicht so schwer ist, wie nicht verfügbar zu sein.

Schon als Seriendarsteller gilt man als prinzipiell nicht verfügbar. Oder man wäre einfach nur Gag-Schreiber fürs Fernsehen, und hätte ein T-Shirt an, mit dem Aufdruck: I Know the DJ. Nicht verfügbar, da könnte man gucken, wie man wollte. Ja, sogar die Salatesser würden sich beschämt darüber zeigen, sie selbst und nicht man selber zu sein. Ich schaue mich um. Auf dem Podest sitzt eine Frau mit roten Haaren. Ein Kind kriecht unter den Tischen hervor und ruft nach ihr. Mutti hat keine Zeit, versucht ein Stück Fetakäse auf die Gabel zu pieksen. Ein Platz weiter dreht jemand am Pfefferstreuer.

Dennoch, denke ich, zuerst einmal das Hingucken vermeiden. Ich sitze also bei Tabak und Bier da und versuche mich auf ein Gefühl völliger Selbstgenügsamkeit einzuschweben. Nach einer Weile kommen drei Gestalten hineinspaziert. Zwei Jungs in Feuerwehruniform mit Brandhelmen, ein Mädel mit Stetson. Das Marlboro-Promotion-Team verteilt ein paar Streichholzschachteln auf den Tischen, quatscht mit dem Personal. Als mir die Schachtel vorgeworfen wird, meldet sich ein Reflex: der Griff nach meinen Zigaretten. Die leere Box gähnt mich an.

Dann schüttle ich sie kräftig und finde den letzten Drückeberger. Ich rauche ihn heiß, um zu signalisieren: Hallo, aufgepasst, hier sitzt ein Kunde. Einer, den ihr noch weiterhin mit eurem Dreck verseuchen dürft. Hab’ ich das gesagt? Ein Genussraucher, ein moderner Konsument für einen immer aktuellen Klassiker. Zielgruppe, ich pfeife es: Zielgruppe. Und nun kommt her und werbt um mich, mit einer Probe eures köstlichen Produkts! Ich strahle, sende. Niemand nimmt Notiz von mir. Als sie weiterziehen, hinterlassen sie nur das auf die Streichholzschachtel gedruckte Angebot: Marlboro-Summer-Jobbing.

Ich bestelle noch einmal dasselbe und steige die Treppe hoch zum Klo. Vor dem Automaten bleibe ich stehen und ziehe eine Marlboro-Light. Zufrieden bemerke ich, dass es die im Softpack sind. Ich beschließe, nur noch Soft-Pack-Marlboro-Lights zu rauchen, auch wenn sie weiße Filter für den abgespreizten Finger haben. Irgendwo muss man doch anfangen.