: Reality for man
Den wahren Duft der großen weiten Werbewelt lässt die Schau „Total überzogen“ im Oldenburger Edith-Ruß-Haus erfahren – und will damit das Medienkunsthaus zur provokanten visuellen Plattform für Diskussion machen
„Free Kunst“ – wie ein Schrei überzieht dieser Slogan in großen Lettern die Ostseite des Oldenburger Edith-Ruß-Hauses. Das Gebäude ist „Total überzogen“ von solchen Bannern im Werbestil, „Total überzogen“ heißt auch die internationale Ausstellung von 19 Gruppen und Künstlern, die seit Anfang Dezember im Inneren des der Medienkunst gewidmeten Hauses zu besichtigen ist.
Das Erscheinungsbild setzt den Ausstellungstitel eins zu eins um. Und in ihrer Spiegelung verweisen beide bereits auf Inhalte und Anliegen der Schau. Denn das zumindest machen sie deutlich, dass hier durch ein geschicktes Spiel von Bildsymbolen und Sprachfloskeln herkömmliche Werbeaussagen einen ironischen Kontext erhalten.
Ziel der Exposition sei es, so der Veranstalter, „das Oldenburger Medienkunsthaus zur provokanten visuellen Plattform für Diskussionen“ zu machen. Das vorgegebene Thema: Repräsentation im öffentlichen Raum“.
Das macht auch vor dem Auftritt der Oldenburger Geldgeber nicht halt: Die Forderung der Mäzene nach Präsenz ist erfüllt, aber zum Teil künstlerischer Repräsentanz und ihrer Fragestellungen geworden. So prangen die Logos von Bonzen und Banken auf der Außenfassade direkt neben dem Versprechen „Oldenburg: Da ist mehr drin“ und der programmatischen Standortbestimmung von Jenny Holzer: „If you can‘t leave your Mark give up“.
Damit versucht die Medien-Kunst einen kleinen Befreiungsschlag. Jahrelang hatte sie sich in den Dienst von Werbung und Animation gestellt, hatte sich in Abhängigkeiten begeben von Sponsoren und Computerfirmen, um ihre Hardware finanziert zu bekommen. Droht nun die Revolte?
Echte Guerilleros unter den Medienkünstlern sind die amerikanischen Adbusters, eine Gruppe von Aktivisten und Künstlern, die den „Buy nothing day“ am 30. November ins Leben gerufen haben.
Ihre Kritik an sich globalisierender ökonomischer Macht provoziert auf amüsante Weise. Und er entlarvt die Überformung von Identität durch mitgekaufte Attribute und Bilder.
Ein bekannter Schriftzug verspricht „Obsession“ und der knackige Typ in einer Unterhose mit der Aufschrift Kalvin Kline schaut stirnrunzelnd in den Hosenbund. In selber Machart steht der sattsam promoteten „Eternity for men“ „Reality“ gegenüber, sprich: ein Typ mit Plauze und dichtem Haarpelz. Waschbrett? Von wegen.
Die Verwendung und Verfremdung bekannter Schablonen nutzt die Kampagne „Kein Mensch ist illegal“ für politische Zwecke. Im Edith-Ruß-Haus ist für die „Deportation Class“ extra eine kleine Reisebüro-Ecke eingerichtet, mit Prospekten. Am PC kann man sich über einen Trip mit der Abschiebeklasse der Lufthansa informieren.
Sarkastisch zeigt die entsprechende Werbekarte in Orange und Blau, den Farben der Fluglinie, und mit deren Wappen-Tier, dem Kranich – allerdings im Sturzflug – versehen, unter Normalreisenden eine Figur, die sich weiß abhebt: vermummt und gefesselt.
Tatsächlich geht die Kampagne noch weiter: Sie informiert über Möglichkeiten, per Netzaktivismus die Browser von Firmen oder ganzen Regierungen lahm zu legen. Als Aktionäre bei Lufthansa nutzten sie die Versammlungen, um auf den Gebrauch der Kraniche als Abschiebeflugzeuge und auf Todesfälle infolge dieser Praxis hinzuweisen.
Daniel Pflumm hingegen entzieht in „Traveller“ Werbebilder und Jingles ihrem Kontext und fügt sie zu einer Endlosserie aneinander. Zahnersatzmodelle als digitales Produkt werden wieder und wieder grün umflort – vielleicht ist das die Haftcreme – und zeigen sich dank dieses seriellen Zugriffs erst wieder in ihrer reinen Objekthaftigkeit, als Kunst.
Als reine Form animiert werden Micky Maus und der Rote Stern zu ornamentalen Kürzeln, die eher an unser mediengeprägtes Bildwissen appellieren, aber in dem Kontext der Serie keinen Sinn mehr ergeben können: pure Form, zweckloses Ornament sind undenkbar geworden.
Marijke Gerwin
Total überzogen. Noch bis 9. Februar 2003 im Edith-Ruß Haus für Medienkunst, Katharinenstraße 23, Oldenburg. Geöffnet dienstags bis freitags von 14 bis 17 Uhr, samstags und sonntags von 11 bis 17 Uhr. Montags sowie am 24. und 31. Dezember geschlossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen