piwik no script img

Der Winter ist ein harter Mann

Denn er hält uns fest in seinem Griff gefangen, bringt uns ständig zum Weinen und veranlasst uns dazu, lange Unterhosen mit Eingriff, Rumverschnitte und standardisierte Testamentsvordrucke zu kaufen. Ein paar Impressionen aus gegebenem Anlass

von ULI HANNEMANN

„Der Winter ist ein harter Mann“: Nun, harte Männer haben ja oft einen weichen Kern. Viele haben Angst vor dem Zahnarzt oder fangen schon an zu weinen, wenn sie bloß verlassen werden. Den weichen Kern des Winters bin ich dagegen immer noch am Suchen. Wenn man einen Föhn aus dem Fenster hält und den Winter damit heiß anpustet, reicht das auf jeden Fall nicht, ihn zum Weinen zu bringen. Auch durch bewusst antizyklisches Verhalten, wie mit einer Gießkanne nackig im Hof herumzulaufen und dabei „Hurra“ zu schreien, lässt sich der schlaue Winter nicht aus der Reserve locken – ein harter Mann wie er ist da bestimmt ganz andere Provokationen gewöhnt.

Im Gegenteil – der Winter bringt mich zum Weinen. Er haut mir seine Kälte in die Fresse, dass mir auf Schritt und Tritt die Tränen herunterlaufen und auf der Stelle gefrieren. Meine Wimpern sind festgefroren, und so blicke ich die ganze Zeit wie durch Gitterstäbe. Darum also heißt es, „der Winter hält uns in seinem Griff gefangen“.

Normalerweise wäre es heute klüger, zu Hause zu bleiben, allein die mangelnde Voraussicht hat mich auf die Straße getrieben: Ich habe erst viel später mit der Sau gerechnet, so gegen März vielleicht, und jetzt fehlt es mir an Winterbedarf. Den muss ich nun noch kaufen, eine lange Unterhose zum Beispiel. Bei Wulle werde ich fündig: Für 5 Euro eine „Thermohose“, hellblau, mit Eingriff. „Eingriff“ erinnert mich immer an „gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr“. In diesem Fall bedeutet es vermutlich eher, dass man da was raushängen soll, was ich bei diesen Temperaturen jedoch nicht empfehlen würde. Oder allenfalls dem Handybesitzer – dann kann ja die Feuerwehr rufen, wer mitsamt seinem Strahl am Baum festgefroren ist. Die Kälte betäubt, und der Gerettete spürt kaum den Trennschleifer.

Weiteren Winterbedarf hole ich bei Edeka – Jamaika-Rumverschnitt, ebenfalls 5 Euro. Die Preise für verschiedenste Winterbedarfsartikel scheinen einheitlich auf 5 Euro festgelegt zu sein. Wein, Orangen, Zitronen – zusammen auch 5 Euro. So, jetzt noch zum Papierladen. Auf der Straße gucken die Leute grantig – kein Wunder, wer ist schon gern eingesperrt. „Die Stimmung ist auf dem Gefrierpunkt“, kann man nicht behaupten, denn wie die Temperatur müsste sie dazu erst noch ordentlich steigen. Dabei hat die Kälte auch ihre Vorteile: Wenn man auf Hundekacke tritt, dann knackt es nur trocken und danach kann man sie lustig in der Gegend herum kicken – das nenne ich „die Natur mit ihren eigenen Waffen schlagen“.

Da macht sich zu Recht ein Triumphgefühl breit, wie man es ansonsten höchstens von überraschenden Heiligsprechungen kennt. Die im Winter erstarrte Natur ist eine Amazone – nicht nur bewaffnet ist sie, sondern auch wunderschön: An einigen Stellen ist der Gehsteig mit einer in tausend Farben schillernden hügeligen Struktur bedeckt. Dabei ist, was aussieht wie ein prächtiges Korallenriff, doch nur banale hartgefrorene Kotze. Im Schreibwarengeschäft halte ich Ausschau nach dem letzten und wichtigsten Winterbedarf, finde ihn dann auch bei den Formularen zwischen Blankomietverträgen und Meldebescheinigungen: Ein Standardtestamentsvordruck – Kostenpunkt 5 Euro. In Zeiten wie diesen sollte jeder ganz schnell sein Testament machen.

Frühmorgens aus der Kneipe, auf ner vereisten Pfütze ausgerutscht, keiner hört dein Schreien, denn keiner ist auf der Straße, tot, erfroren. Frühmorgens aus der Kneipe, gerade noch ner vereisten Pfütze ausgewichen, mit dem Fahrrad nach Hause, unterwegs Kette gerissen, keiner Schreien, keiner Straße, erledigt. Frühmorgens Kneipe, Pfütze Glück, Fahrrad Hause, Kette auch Glück, Schlüssel vergessen, Schreien, Straße, futsch.

Wer wiederum ein Handy hat, kann wenigstens hoffen, dass der Schlüsseldienst schneller ist als der Kältetod. Oder die Feuerwehr rufen – die kommt aber nur, wenn man beim Pissen kleben bleibt. So gesehen gehört auch das Handy unbedingt zum Winterbedarf, allerdings kostet es mehr als 5 Euro.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen