: Martialisches Lernen
Sehnsucht nach Ostpreußen: „Die Welt“ veranstaltet einen Schülerwettbewerb
Obwohl das vermeintlich friedliche Weihnachtsfest naht, grübelt eine kleine Schar Pennäler dieser Tage über Martialischem, das in etwa so aussehen könnte: Panzer rollen gen Osten. Die Heide wackelt. Königsberg, wir kommen! Wer hinter diesen Zeilen eher einen Schulaufsatz von 1939 vermutet, liegt nicht ganz verkehrt: „Bundeswehr im Blick“ heißt der journalistische Wettbewerb, zu dem die Berliner Tageszeitung Die Welt aufgerufen hat. Unter Themenvorgaben wie „Vor dem Einsatz“ oder „Eine Offiziersanwärterin, die in den Kampftruppen eingesetzt werden will“ sollen Schülerinnen und Schüler bis zum 31. Januar 2003 zu „entdeckendem Lernen“ motiviert werden. Zu entdecken gibt es dann auch gleich einiges. Nämlich, wenn geneigte Schüler einen Blick auf die Jury werfen, der auch der stellvertretende Ressortleiter Innenpolitik, Ansgar Graw, angehört.
Stellvertreter war Ansgar Graw nämlich schon einmal. Und zwar als Bundesvorsitzender der als rechtsextrem und verfassungswidrig eingestuften „Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“ (JLO). Überdies profilierte er sich als Autor und Redakteur der rechtsextremen Publikation Ostpreußenblatt.
Schüler, die an dem Wettbewerb teilnehmen und Jurymitglied Ansgar Graw gefallen wollen, sei also geraten, sich entsprechend zu orientieren und eine Veranstaltung seiner Landsmannschaft zu besuchen. Der Veranstaltungskalender 2002 verspricht einiges: „Erlebnisbericht des jüngsten Kompaniechefs der Deutschen Wehrmacht … Heldengedenkfeier in Pommern … Vortrag in Chemnitz, Referent: Horst Mahler“. Der heutige NPD-Anwalt war schon 1998 so freundlich, Graws Einladung zu dessen letzter Buchpräsentation nachzukommen.
Den Gewinnern von „Bundeswehr im Blick“ droht ein Praktikum bei der Welt. Doch halt! Um sich auf die Begegnung mit Onkel Ansgar vorzubereiten, sollten sie die Internetseite seiner Landsmannschaft anklicken, dort gibt es folgende Frage und Antwort zu bestaunen: „Welches war das zahlenmäßig größte Verbrechen der Deutschen Geschichte? Die Annexion Ostdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg und die Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern und dem Sudetenland.“ Sollten die Neu-Praktikanten der Welt dann gefragt werden, wer oder was „Preußen“ denn überhaupt sei oder war, so können sie Onkel Ansgar wie aus der Pistole geschossen reportieren: „Preußen ist ein Gebiet, das heute zu großem Teil von Polen und Russen besetzt ist.“
Auch zu empfehlen wäre Graws Buch von 1993 „Königsberg morgen“. Den Schlachtruf seines Koautors Wilfried Böhm „Deutsche nach Ostpreußen“ können sie dann gewiss besser nachvollziehen. Wer aber beim Springer-Verlag Karriere machen will, sollte lieber gleich wie Graw beim Ostpreußenblatt mitarbeiten. Dort können sie folgendes lernen: „Kriminelle Zigeuner sind wie eine Heuschreckenplage über Deutschland hergefallen. Sie nennen sich Asylanten, sind aber durchweg kriminell und kosten uns Milliarden.“
Der letzte Literaturhinweis in dieser Angelegenheit kommt von Ansgar Graw selbst. In der Welt vom 3. Dezember 2002 preist er den Offizier Oskar von Niedermayer, der im Ersten Weltkrieg für den deutschen Kaiser nach Afghanistan reiste, um die Machthaber zum Krieg gegen Indien anzustacheln. Dass der gehuldigte Niedermeyer später NSDAP-Mitglied war, verschweigt Graw erst gar nicht, denn er hat ja eine plausible Erklärung parat: Niedermeyer trat in die Partei ein „um weiter wissenschaftlich arbeiten zu können“. Wir wünschen den teilnehmenden Schülern viel Erfolg!
ANDRÉ PARIS
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