: Was nicht passt wird passend gemacht
Matthias Otterstedt, Mitarbeiter am Kulturzentrum Schlachthof, hat die wirtschaftspolitische Begründung für den Umbau der Bremer Stadthalle sehr genau unter die Lupe genommen. Nicht nur einmal wurde dafür in die „Trickkiste“ geriffen, so das Ergebnis. Wir drucken den gekürzten Text aus der Dezemberausgabe der „Zett“, Zeitung der Kulturzentren Schlachthof und Lagerhaus.
Wer A sagt muss auch B sagen, so wird Jens Eckhoff, der Fraktionsführer der CDU im Weser Kurier vom 1. November im Zusammenhang mit dem geplanten Umbau und der Erweiterung der Bremer Stadthalle zitiert und tatsächlich handelt es sich hier um einen Schlüsselsatz, in dem sich das gesamte wirtschaftspolitische Gebaren auf der Bürgerweide erschöpfend zusammenfassen lässt. Worum geht es diesmal?
Die Bremer Stadthalle soll bis 2005 mit mindestens 39 Millionen Euro, zuzüglich 11 Millionen Euro Zinsen modernisiert und in ihrer Sitzplatzkapazität um 3.800 Plätze aufgestockt werden. Damit könnten dann bis zu 11.000 Sitzplätze angeboten werden. Auf einer Sitzung der Wirtschaftsförderungsausschüsse im Mai 2002 wurden die entsprechenden Mittel bereits bewilligt.
Alles eine Frage der Konkurrenz
In der Vorlage zur Erweiterung und Modernisierung der Stadthalle, die der Entscheidung der Wirtschaftsförderungsausschüsse zugrunde liegt, wird zunächst gewürdigt, dass die Stadthalle zu den „markantesten und eindruckstärksten Hallenbauten in Deutschland“ zählt. Und es wird ausdrücklich eingeräumt: „Die Anhebung des Daches als Folge zusätzlicher Tribünenanlagen auf der Hallennordseite um rund 8 Meter und auf der Südseite um rund 3 Meter stellt einen Eingriff in Konstruktion und Architektur dar, der zu Veränderungen der charakteristischen äußeren Gestaltung der Stadthalle führen wird.“ Es ist auch die Rede von „Proportionsverlust für die gesamte Hallenarchitektur“, und dass „die das Gebäude prägende Dachkonstruktion in ihrer untrennbaren Verbindung zu den Strebepfeilern entfernt“ werden muss.
Dennoch, das Management von Hanseatischer Veranstaltungsgesellschaft und Stadthalle und die Wirtschaftspolitik sind sich sicher, dass die Umbaumaßnahme unumgänglich ist, wenn Bremen im Wettstreit der Großveranstaltungsbetriebe weiterhin in der Oberliga mitspielen will. Mit der Preussag-Arena in Hannover, der Hallenerweiterung in Kiel und der nun gerade eröffneten Color-Line-Arena in Hamburg seien Konkurrenten ins Spiel gekommen, die, was den Service, die Technik und vor allem die Zuschauerkapazität angeht, die Stadthalle alt aussehen lassen und bereits jetzt schon spürbar zu Abwanderungen von Veranstaltungen geführt hätten. Die deutsche Vorentscheidungsveranstaltung zum Schlager-Grand-Prix, die 2001 angeblich nach Hannover abgewandert sei, weil in der Preussag-Arena größere Kapazitäten vorhanden waren, wird als ein Beispiel genannt.
Auf Nachfrage beim NDR, dem Veranstalter der Fernseh-Show, erhalten wir eine andere Auskunft: „2001 konnten wir nicht in Bremen bleiben, weil unsere Erfordernisse mit den Anforderungen einer parallel eingeplanten Großveranstaltung unvereinbar waren.“ Und weiter: “Mit unseren Entscheidungen im Jahr 2001 für Hannover und anschließend für Kiel bewegen wir uns wieder im Sendegebiet des NDR.“
Wirtschaftliche Effekte:Das große Versprechen
Die bereits erwähnte Vorlage, die dem Wirtschaftsförderungsausschuss zur Grundlage seiner weitreichenden Entscheidung diente, basiert im wesentlichen auf einem Gutachten des Bremer Instituts für Wirtschaftsforschung (BAW), dessen Leiter, Frank Haller, als langjähriger Wirtschaftsstaatsrat bekanntermaßen Begründer und Verfechter des Ausbaus der Bürgerweide zu einem Messe- und Großveranstaltungsort gewesen ist, nun also seine eigene Politik zu begutachten hatte.
Wie der sanierungspolitik-geschulte Bürger inzwischen gelernt hat, geht es – wie bei allen anderen Investitionen dieser Art auch – nicht mehr um den Nachweis betriebswirtschaftlicher Rentabilität. Vielmehr wendet man sich in der Argumentation lieber gleich den höheren Gefilden der Amortisationsrechnung zu. Dort geht es um die regionalwirtschaftlichen Effekte, die entstehen, wenn es gelingt, Besucher von außerhalb nach Bremen zu locken. Die geben dann hier ihr Geld aus, und das schafft wieder Arbeitsplätze.
Und weil niemand das Gegenteil beweisen kann, wird in dem Gutachten munter drauflos spekuliert, wieviel zusätzliche Großveranstaltungen der Standort Bremen nach erfolgreichem Umbau absorbieren kann, bei welchen bestehenden Veranstaltungen zusätzliche Sitzplätze hätten verkauft werden können, woher die Besucherscharen wohl kommen mögen und wie lange sie vielleicht in unserer Stadt verweilen werden. Und so kommt am Ende eine Anzahl von 71 zusätzlichen Arbeitsplätzen heraus, die ein vergrößerter Stadthallenbetrieb zusätzlich „generieren“ würde, wie es so schön heißt. Das ist natürlich enttäuschend gering und reicht längst nicht hin, um die aufgewendeten Gelder jemals zurückzuerwirtschaften.
Doch man lässt den Kopf nicht lange hängen und greift in die Wirtschaftsförderungs-Trickkiste. Frech wird ein Szenario ausgedacht, bei dem nicht nur auf die Erweiterung der Halle, sondern überhaupt auf jede Renovierung und Verbesserung verzichtet wird. Ganz oder gar nicht heißt die Devise, was dann zu folgender Ergebnisverbesserung führt: „Für die Berechnung der fiskalischen Effekte wird daher unterstellt, dass bei einem Verzicht auf den geplanten Umbau der Stadthalle Bremen aufgrund der Sicherheitsmängel in vier Jahren keine Veranstaltungen mehr durchgeführt werden können. In den Jahren zuvor reduziert sich das Angebot zunehmend.“
Der aufmerksame Leser ahnt bereits, wohin der Hase laufen soll. Richtig. „Infolge des Rückgangs der Stadthallenveranstaltungen bis hin zur Schließung der Stadthalle entfallen auch alle indirekten, mit der Stadthalle verbundenen Beschäftigungseffekte einschließlich der multiplikator-induzierten Wirkungen.“ Man lässt die Halle einfach verfallen, dann gibt es auch die bestehenden Beschäftigungsauswirkungen nicht mehr. Die können dann anschließend dem geplanten Umbau, der sich damit finanztechnisch als Neubau entpuppt in voller Höhe gutgeschrieben werden, so dass wie von Geisterhand nun plötzlich 568 direkte und indirekte Arbeitsplätze im Haben stehen. Einziger Schönheitsfehler, das daraus resultierende Steueraufkommen erzeugt eben keine wirklichen Mehreinnahmen, sondern nur gerechnete, während es sich bei der Investition um reales Geld handelt.
Image-Faktor, berechnet in virtuellen Euro und Cent
Doch selbst dieser Winkelzug führt nicht zum erhofften Ergebnis, und so muss ein weiterer Trumpf aus dem Ärmel gezogen werden, der die zukünftig zu erwartenden Einnahmen – da wir uns in den höheren Gefilden der Wirtschaftspolitik bewegen natürlich auch wieder nur virtuell – erhöhen hilft: „Nun wird man einem so bedeutenden Image-Faktor wie der Stadthalle nicht gerecht, wenn man ihren fiskalischen Nutzen nur anhand ihrer Beschäftigungseffekte misst. Ihr Werbewert, der ja nicht nur auf den Tourismus beschränkt ist, sondern auch Stadt- und Standortwerbung darstellt, kann mittel- und langfristig auch akquisitionswirksam sein.“
Und so wird ein ideeller Medienwert von DM 3,38 Mio. ermittelt, der wie eine reale Einnahme verbucht wird, ohne dass dafür an anderer Stelle – z.B. bei der Bremen-Werbung – Ausgaben eingespart würden. Medienwert und fiskalischer Effekt zusammen führen schließlich zu einer Amortisationszeit von 18 Jahren. Und da selbst das immer noch zu lang erscheinen könnte, um den großen finanziellen Einsatz rechtfertigen zu können, verzichtet man auf das im Bauprogramm des BAW-Gutachtens noch enthaltene Foyer (hier noch Kolosseum genannt), verkürzt die Amortisationszeit damit auf akzeptablere 14 Jahre und lässt sich das Foyer eben ein paar Monate später (so geschehen am 7.11.02) als Einzelmaßnahme genehmigen.
Im Klartext bedeutet das: Die Halle ist mindestens die nächsten 14 Jahre nur damit beschäftigt, die von ihr erzeugten Kosten wieder zurückzuerwirtschaften, vorausgesetzt es entsteht in diesem Zeitraum kein weiterer Investitionsbedarf. Und wenn sich dann auch noch alle Städte im Umkreis von 300 Kilometern selbstverpflichten, keine neuen Veranstaltungshallen mehr auf den Markt zu bringen oder die bestehenden zu modernisieren oder zu vergrößern, dann wäre alles perfekt.
Touristen-Zahlen: Der Wunsch wird wieder einmal Vater
Aber wie sieht es wirklich aus? Da wird uns Jahr für Jahr versichert, die tourismus- und besucherorientierten Investitionen der letzten Jahre würden deutliche Erfolge bei der Entwicklung des Reiseverkehrs im Lande Bremen zeitigen. So heißt es im statistischen Jahresbericht 2000 der Industrie- und Handelskammer: „Der Wandel in der Tourismuspolitik des Landes Bremen und seine erfolgreiche Vermarktung kann insbesondere an der positiven Entwicklung der Stadt Bremen abgelesen werden.
Besonders deutlich zeigt sich dies an den überdurchschnittlichen Zuwachsraten, sowohl bei den Ankünften als auch bei den gemeldeten Übernachtungen in Bremen.“
Den Zuwachs für das Jahr 2000 gibt das statistische Landesamt mit 7,9 Prozent gegenüber 1999 an. „Hohen Anteil daran haben die überproportional gestiegenen Zahlen ausländischer Gäste, was u.a. auch auf das Messe-Centrum mit internationalen Fachmessen zurückzuführen ist.“ Ein Jahr später, als die Besucherzahlen für den Stadtbereich sogar noch hinter den Werten von 1999 bleiben, heißt es im Konjunkturbericht 2001 des Senators für Finanzen schon etwas kleinlauter: „Beim Tourismus ist nach den jeweils hohen Zuwachsraten der Vorjahre im Berichtsjahr 2001 ein leichter Einbruch zu verzeichnen. (...) Die Gründe der erstmals wieder rückläufigen Übernachtungszahlen sind noch nicht eindeutig zu identifizieren, (...)“ Welch abenteuerlicher Selbstbetrug! Nicht der Rückgang der Besucherzahlen ist in Wirklichkeit zu erklären, sondern ihr überdurchschnittlicher Anstieg im Jahr 2000.
Möglicherweise erinnert sich der eine oder andere noch daran. Die Expo gastierte in Hannover, und als im Vorfeld klar wurde, dass die bremischen Expo-Projekte nicht rechtzeitig fertiggestellt sein würden, hieß es dazu aus dem Munde des Chefs der stadteigenen Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft, Michael Göbel, es sei „ohnehin unmöglich, während der Expo-Monate Hannover Konkurrenz zu machen. Die Bremer Hotels seien in der Zeit allein durch Expo-Besucher ausgebucht.“ (taz bremen, 5.10.1998) Das war lange vor der großen Weltausstellung in Hannover. Ein paar Monate nach ihrem Ende wollte man sich an diesen Expo-Effekt offenbar nicht mehr erinnern und den Anstieg im Übernachtungsverkehr lieber als alleinigen Erfolg der eigenen Politik einheimsen.
Auch bei der Beschäftigungsentwicklung im Gastgewerbe wird allzu deutlich, dass bei all den positiven Prognosen und Bilanzierungen doch eher der Wunsch Vater des Gedankens ist. Selbst im besucherstarken Jahr 2000 ging die Zahl der im Gastgewerbe Tätigen um 0,5 Prozent zurück, im folgenden Jahr gar um die Rekordzahl von 4,0 Prozent.
Matthias Otterstedt
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