: Zentralabi macht Schulreform tot
Behördenpapier will für alle, die jetzt in der 9. Klasse sind, zentrale Tests in der 12. Klasse und das „Zentralabitur“ einführen. Schulleiter sind skeptisch: Dann gibt es weniger Freiraum für kreatives Lernen und mehr Hang zum Pauken
Am 18. Dezember, eine Woche vor Weihnachten, müssen die Bremer Gymnasial-Schulleiter dem Bildungsressort ihren Wunschzettel zu einem delikaten Problem abliefern: Es geht um die Reform der Oberstufe. Aus der Behörde gibt es dazu ein zweiseitiges, dürres Papier: „Rahmenbedingungen zur Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe“ steht darüber. Auf den zwei eng beschriebenen Seiten ist keine Aufbruchstimmung nach dem Pisa-Schock zu spüren, kein neuer Schwung, keine Vision. Schulbürokratisch werden organisatorische Details für die SchülerInnen abgehandelt, die 2004 in die Oberstufe kommen. Kostprobe: „Für die Anrechnung der Projektarbeit aus zwei Halbjahren der Qualifikationsphase als 5. Abiturelement ist ein Gesamtumfang von etwa 80 Unterrichtsstunden erforderlich.“
Und dazwischen irgendwo der Satz: „Die Aufgaben für die schriftliche Abiturprüfung werden zentral gestellt.“ Um SchülerInnen und Lehrern den Ernst der Lage klar zu machen, sollen „im zweiten Halbjahr der Qualifikationsphase“ – auf deutsch: am Ende der 12. Jahrgangsstufe – „zentrale Vergleichsarbeiten“ geschrieben werden.
Damit ist klar: Das Zentralabitur soll die gesamte Oberstufe strukturieren. Konnten bisher Schwerpunkte nach den Interessen der SchülerInnen oder der Lehrkraft gesetzt werden, so wird ab dem Jahre 2004 jeder Schüler sinnvoller Weise verlangen, dass der Unterricht sich ganz auf den erwarteten Prüfungskanon konzentriert. „Die inhaltliche Spannweite wird geringer werden“, nennt das der federführende Schulrat Jürgen Bruns.
Soziologie zum Beispiel wird – falls es überhaupt noch als relevantes Abiturfach mit Leistungskursen zugelassen sein sollte – kein Fach mehr sein, in dem Schüler und Lehrer „ihre“ Themenfelder selbst entwickeln und exemplarisch lernen können. In Deutsch, Geschichte oder Geografie genauso wenig.
Offizielle Begründung für dieses „Zentral-Abitur“ ist das schlechte Abschneiden beim Pisa-Test. Da wurden aber Abi-Leistungen überhaupt nicht getestet. In Wirklichkeit weiß die Schulbehörde seit langem, an welchen Schulen das Abitur-Niveau unter dem bundesdeutschen Niveau liegt und welche Schulen sich durchaus mit bayerischen Schulen messen können: Bundesweit gibt es seit Jahren streng vertraulich ausgewertete gegenseitige „Besuche“ der Schulräte bei Abiturprüfungen.
Erstes Opfer des Zentralabiturs ist das moderne Unterrichtsmodell „Profil-Oberstufe“, das das Gymnasium Vegesack in den letzten acht Jahren entwickelt hat. Auch Schulrat Bruns findet das Vegesacker Modell „ideal“. Aber das, was derzeit für alle verbindlich eingeführt werden soll, hat mit dem Vegesacker Modell wenig zu tun. Die „Personallandschaft“, so formuliert es Bruns, erlaubt derzeit keine derart weit reichende Reform. Der Schulleiter von Vegesack, Wilfried Hornung, sieht das im Grunde genauso: Seit 1975 sind die Lehrer nur älter geworden, und ihre tägliche Arbeitszeit ist um mehr als eine Stunde verlängert worden – große Begeisterung, in der Freizeit Projekt-Konzepte zu entwickeln, könne man heute nicht mehr erwarten.
Obwohl alle theoretisch darin übereinstimmen, dass fächerübergreifender, praxis- und projektbezogener Unterricht sinnvoll wäre, wird derzeit an einer Oberstufenreform gebastelt, die gerade dies ausschließt. Schulleiter Hornung zum Zentralabitur: „Das macht uns Kopfschmerzen.“ Denn das Lernen in Projekten ist mit dem Pauken für zentrale Aufgaben-Stellungen kaum vereinbar. In dem Behördenpapier werden Reformprojekte wie Vegesack daher gerade noch geduldet: „Bereits eingerichtete Profiloberstufen sind nicht tangiert.“ Das ist tröstlich für Hornung: „Gott sei dank wird unser Modell nicht kaputt gemacht.“ Das bedeutet aber auch: Wenn andere Gymnasien das erfolgreiche Vegesacker Modell übernehmen wollten, wäre das nicht mehr möglich. Und auch für Vegesack könnte es Folgen haben: Mit einem Projekt „Biodiesel“ zum Beispiel haben die Vegesacker Oberstufenschüler mit Engagement die Fächer Chemie, Biologie und Geografie verknüpft und es erfordert keine Phantasie, aus dem Themenbereich Abiturthemen zu formulieren. Nach den neuen Rahmenbedingungen könnte das Projekt-Thema als wenig Abitur-relevant durchfallen.
An den Schulen jedenfalls ist kaum jemand von der neuen Oberstufenreform überzeugt. „Keiner ist bereit, da einzusteigen“, sagt der Schulleiter des Gymnasiums Hamburger Straße, Wilfried Stille. Der Unterricht müsse „schmalspurig im Interesse der Schüler“ werden. Auch Hornung fürchtet, dass die Schüler selbst dann die „Musteraufgaben pauken“ wollen, weil alles andere nicht entscheidend ist. Die meisten Stellungnahmen zum 18. Dezember werden skeptisch bis ablehnend sein. Die Behörde muss die geplante Schulreform dann ohne das Engagement der Beteiligten umsetzen.
Als hätte nicht gerade der „Runde Tisch Bildung“ mit viel pädagogischer Überzeugung festgestellt: Eine gute Schule hat Strukturen zur Voraussetzung, in denen Schulleiter und Lehrkräfte ihre Arbeit verantwortlich selbst gestalten können. K.W.
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