piwik no script img

Depression und Gesellschaft

Der Schriftsteller Henning Mankell rettet den deutschen Buchhandel und erweitert seine Produktpalette. In dem Thriller „Die Rückkehr des Tanzlehrers“ kommt Wallander nicht vor. Dafür leidet ein anderer Kommissar an der Welt

Von einem ganz bestimmten Zeitpunkt an kann man davon ausgehen, dass ein Schriftsteller zu einem Markenartikel geworden ist: wenn sein jeweils neuer Roman mit der Wendung „Der neue …“ beworben wird, worauf dann nur noch der Nachname des Autors zu folgen braucht. Weitere Angaben erübrigen sich; die jeweiligen Fangruppen wissen dann schon.

Bis zur Wendung „Der neue Mankell“ ging alles rasend schnell. Auch der aktuelle Roman dieser schreibenden schwedischen Erfolgsmaschine verkauft sich wie heruntergesetzte Tempo-Taschentücher während einer Grippeepidemie: Über 300.000 Einheiten gingen nach Verlagsangaben bereits über den Ladentisch, und man kann annehmen, dass zumindest bis Weihnachten pro Tag bis zu 8.500 Stück hinzukommen werden. Wer von Dieter Bohlen als Retter des deutschen Buchhandels spricht, darf über Henning Mankell nicht schweigen.

Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass Mankell die Erweiterung seiner Produktpalette eindrucksvoll zu gelingen scheint. Seit zwei, drei Romanen – bei diesem Ausstoß kann man schon mal den Überblick verlieren! – lassen sich die allermeisten Besprechungen getrost unter der These zusammenfassen, hier liege wieder einmal „ein typischer Mankell“ vor – obwohl Mankell selbst einiges unternommen hat, um diese Festlegung zu unterlaufen. Neben depressiven Thrillern hat er jedenfalls auch ernsthafte politische Romane geschrieben. Ein Umstand, den der interne Sprachgebrauch in seinem deutschsprachigen Verlag dahingehend reflektiert, dass er den „Wallander-Mankell“ und den „Afrika-Mankell“ unterscheidet. In letztere Kategorie gehören auch die Romane dieses Autors mit Zweitwohnsitz in Mosambik, die nicht primär in Afrika spielen – Hauptsache, sie haben keinen magenkranken Kriminalkommissar zur Hauptfigur. Im kommenden Frühjahr wird das aktuelle Produkt dieser Baureihe auf den deutschen Markt kommen: „T-Back“, ein Buch, das eine Satire auf den Literaturbetrieb mit der Flüchtlingsproblematik verbinden soll.

Im Sommer kommenden Jahres folgt dann unter dem Titel „Vor dem Frost“ die deutsche Übersetzung des lang erwarteten Updates der Wallander-Baureihe. Linda Wallander, die Tochter, wird hier in die Fußstapfen ihres Vaters Kurt treten. In Schweden ist das Buch bereits jetzt der beinahe schon notorische Verkaufserfolg, einschlägige deutschsprachige Homepages von Krimifans (wie etwa www.krimi-couch.de) vermelden auch schon, hier liege wieder „ein typischer Mankell“ vor. Zumindest beginnt er mit einer dieser typischen, ebenso bildmächtigen wie gewalttätigen Eingangsszenen: Schwäne werden mit Benzin besprüht und angezündet.

Aber so weit sind wir noch nicht. In „Die Rückkehr des Tanzlehrers“ (Zsolnay Verlag, 506 Seiten), dem aktuellen Roman, kann man einstweilen gut studieren, was über ausgesucht grausame Einstiege hinaus das Typische dieses Autors darstellt. Kurt Wallander, wie man hätte annehmen können, ist es nicht; er kommt überhaupt nicht vor, und trotzdem ist der „Tanzlehrer“ ein typischer Wallander-Mankell geworden. An die Stelle der alternden Kriminalkommissars ist Stefan Lindmann getreten, innerhalb des Mankellschen Werkes nur eine Art Zwischenhauptfigur, die in den nun folgenden Linda-Krimis höchstens als Nebenermittler auftreten wird. Aber es erweist sich: Das Typische Mankells ist unabhängig von der Figurenzeichnung, es liegt in der dramaturgischen Konzeption.

Vor allem geht es Mankell darum, die Befindlichkeit seiner Hauptfigur und den Zustand der Welt miteinander zu verkoppeln. Dieses Vorgehen und nicht die Figur selbst macht, wie sich nun zeigt, den Kern seiner Thriller aus. Im Falle Wallanders fugierte als Bindeglied die Depression: In der Welt nehmen die Grausamkeiten und das Böse immer mehr zu, und Wallander geht es auch nicht gut – neben Magenproblemen plagen ihn Schlaflosigkeit und das Alleinsein. In der „Rückkehr des Tanzlehrers“ funktioniert diese Kopplung ähnlich, allerdings noch vordergründiger.

Stefan Lindmann, so beginnt alles, hat Krebs. In drei Wochen soll er operiert werden, zuvor stolpert er aber noch in einen Kriminalfall hinein. Bald sieht man ihn gegen eine doppelte Krebserkrankung kämpfen: gegen seine eigene und den – offensichtlich sieht Mankell es so – gefährlich wuchernden gesellschaftlichen Krebs des schwedischen Neofaschismus.

Eine Ichkrise vor dem Hintergrund einer Gesellschaftskrise: Dieses zentrale erzählerische Motiv verpflanzt Henning Mankell aus dem Wallander-Universum auf einen neuen Nährboden. Der Rest ist Routine und ergibt sich fast von selbst: Näheprobleme zwischen den Geschlechtern; Männer, die getrieben werden und nicht zur Ruhe kommen; problematische Entdeckungen in der eigenen Psyche. Bevor er einem weismachen will, dass ganz Schweden von Neonazis unterwandert ist, gilt es Mankell allerdings immerhin noch, zunächst Mitleid mit einem Altnazi zu erzeugen.

Aber so ungeheuerlich der Fall auch ist, bald schnurrt wieder dieser Mankell-typische Handlungsverlauf ab: starker Einstieg, in der ersten Hälfte des Buches Schilderung des gesellschaftlichen Umfeldes, das die Gewalt erst möglich gemacht hat, im zweiten Teil Showdown und gesteigerte Empörung über die gesellschaftlichen Zustände. So siegt das Serielle der Konstellation über die Individualität der Hauptfiguren. Mankell ändert sich und bleibt sich gleich. Ein Markenprodukt eben, das für Depression und Gesellschaftskrisen steht. Man weiß, was man an ihm hat. DIRK KNIPPHALS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen