: Zurück ins Basislager
Eine neue Jelinek-Uraufführung von einem alten Text: Mit den „Liebhaberinnen“ wirft Martin Oelbermann in Düsseldorf einen arg illusionslosen Blick auf den Besitz und die Körper. Jelineks Satzmechanik funktioniert auch trocken, doch es zeigt sich, ein Schuss Illusion gäbe ihr mehr Wucht
Schlag auf Schlag folgen in dieser Saison die Uraufführungen von Texten der Elfriede Jelinek. Eine Eskalation, sozusagen: Figuren und Gedanken haben sich in immer größere Höhen geschraubt. Das Stück „In den Alpen“, von Christoph Marthaler in München uraufgeführt, stieg zu den Opfern in der Bergbahn von Kaprun hinauf. In den „Prinzessinnendramen“, die in zwei Tranchen in Hamburg und Berlin herauskamen, stapelte Jelinek die Reflexionsniveaus bis weit über die Baumgrenze. Sie analysierte nicht nur – erneut – Gender-Konstruktionen, sie kommentierte nicht nur die Konventionen solcher Analyse, nein, sie attackierte auch noch ihre eigene Position als unbestechliche Anklägerin.
Von diesem Punkt an ist an einen weiteren Aufstieg kaum zu denken. Und so vollführt die jüngste Uraufführung einen dialektischen Sprung auf die Talsohle, von den Metaebenen mitten hinein in die Materie. Für seine Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus hat Martin Oelbermann auf „Die Liebhaberinnen“ zurückgegriffen, die schon 1975 als Roman erschienen sind. Hier geht es um die Basics – oder, mehr altdeutsch gesagt, die Basis: um den Besitz, den die beiden Heldinnen Brigitte und Paula erwerben möchte, und die Körper, die sie dafür einsetzen. Anderes haben sie leider nicht zu bieten, gelernt haben sie nichts, weil sie aus einfachsten Verhältnissen sowie weiblich sind.
Brigitte hält ihren Körper einem angehenden Kleinunternehmer hin. Dafür bekommt sie einen Hass auf den Mann und das eigene Haus. Paula stellt ihren Körper Fremden gegen Geldgeschenke zur Verfügung. Das ist gegen die Regeln, weshalb sie allein stehend und ohne Aussicht auf Immobilien am Band arbeiten muss. Verschärft wird das Spiel durch ein wenig Überbau: Paula scheitert umso gründlicher, weil sie vom guten Leben träumt, insbesondere von der Liebe. Statt von einem tüchtigen Mann lässt sie sich von einem schönen schwängern.
So weit das große Ganze. Die Feinmechanik bilden Jelineks harte, zwingende Sätze. Sie imitieren die Stimmen bornierter Autorität. Sprichwörter verhaken sich mit dem Amtsdeutsch der Besserwisser und dem Predigerton vererbter Bilderbücher: „habt ihr auch gebärmütter? hoffentlich!“ Dazwischen stehen sehr feste Feststellungen: „in der liebe versteht brigitte keinen spaß. es ist das ernsteste, was sie, so ganz ohne Startkapital, für ihr eigenes Geschäft tun kann.“ So entsteht ein Satzgefüge, aus dem Brigitte und Paula, so viel ist unmittelbar einsichtig, unmöglich entkommen können.
Die Stimmen der Autorität gehören keinem einzelnen Sprecher. Auch auf der Bühne geht die Macht von der Gemeinschaft aus. Sieben Schauspieler, vier Frauen, drei Männer, teilen sich den Text. Sie sprechen ihn unisono, im schnellen Wechsel oder, am Ende, als Kanon. Nur für Augenblicke nehmen sie sich einer Figur an, lösen sie heraus. Deutlicher als die anderen tritt jene hervor, die die Regeln nicht erfüllt: Für Paula ist Anke Hartwig zuständig. Sie trägt als Einzige Grau, während den Übrigen, den Angepassten, die Provinzialität in Form grellfarbener Kleider mit konservativen Kragen am Körper klebt (Kostüme: Margit Koppendorfer).
Das Plakative, die vorgetäuschte Naivität des Texts materialisiert sich unter anderem in Schautafeln, die vom Schnürboden herabfahren (Bühne: Marc Thurow). Daran können die Schauspieler dann zeigen: So sieht Paulas Traum vom Italienurlaub aus und so ihre Idee von der Liebe. Der Gestus des Zeigens bestimmt die gesamte Inszenierung. Immer markieren die Schauspieler nur eine Position, nie verschmelzen sie mit einer Figur. Selbst Anke Hartwig ist Paulas Stellvertreterin, ein Stand-in einer Leidenden, aber nicht ihre Verkörperung. Das kann eine legitime Haltung sein, gewiss, aber in diesem Fall, bei den „Liebhaberinnen“, raubt es dem Text einen Teil seiner Schärfe. Der Roman besticht gerade dadurch, dass man hinter der hoch artifiziellen Textoberfläche unwillkürlich echte Menschen imaginiert. In der Bühnenfassung jedoch wird der Blick auf ein Bild von Wirklichkeit verstellt: Sich lebendige Körper vorzustellen ist überflüssig, weil da schon welche sind. Nur sind das eben eindeutig Schauspielerkörper, die das Elend nur oberflächlich affiziert. Mitleiden sinnlos. Jelineks Satzmechanik funktioniert auch trocken, aber ein Schuss Illusion gäbe ihr mehr Wucht. MORTEN KANSTEINER
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