: Ho, ho, die Balkonmonster
Fassadenkletternde Weihnachtsmänner haben jetzt auch in Hamburg Landesverband gegründet. Allgemein gelten sie als weißbärtige Pest, inoffiziell sind sie jedoch entschieden konsumkritisch
von PETER AHRENS
Im Internet gibt es eine neue Seite mit der Adresse www.weihnachtskitsch.de. Darin wird die Forderung erhoben: „Schickt mir eure furchtbarsten Weihnachtsbilder.“ Einsendungen scheinen dort bislang noch nicht eingegangen zu sein, zumindest lässt sich noch nichts abrufen, klar ist aber: Abbildungen von an Hauswänden hochkrabbelnden Weihnachtsmännern müssten dort Spitzenplätze auf der Furchtbarkeits-Skala einnehmen. Der Holy Horror hat die Fassaden der Städte erreicht.
Ob am Dorint Hotel am Alten Wall oder in den Wohnstraßen von Eimsbüttel – es wird geklettert und erklommen, was das Zeug hergibt. Dachrinnen werden geentert, Balustraden überwunden – die Balkonmonster in Rot kennen kein Halt.
Die Ursache der weißbärtigen Pest liegt natürlich in Bayern: Bei der Firma Wirth Figuren GmbH in Neustadt bei Coburg. Oder bei dem Fürther Deko-Hersteller Barthelmess. Von hier aus haben die Klettermäxe die Republik erobert. 1997 wurden sie auf der Frankfurter Fachmesse Christmasworld erstmals in Deutschland präsentiert. Ihren Ursprung haben sie, wie alles Schlechte, in den USA. Über Frankreich und die dortige Schleuserbande Leblanc Illuminations sind sie über die deutsche Grenze gelangt.
Die Fassadenkletterer sind normalerweise aufblasbar oder aus Schaumstoff und 60 Zentimeter bis 10 Meter groß. Die Frage, was das alles soll, hat mittlerweile selbst das Feuilleton der Zeit erreicht. Finis, das Edel-Pseudonym der Wochenzeitung, spekulierte bereits vor geraumer Zeit darüber, dass „man, solange sie an Privathäusern hängen, den besinnlichen Gedanken fassen könnte, sie wollten den Kamin erreichen, durch den sie ihre Gaben herunterwerfen wollen“. Doch, so fragt sich nicht nur die Zeit: Warum hängen sie dann so oft an Kaufhauswänden? Das kann doch nur bedeuten, dass sie in diebischer Absicht erschienen sind. Als die wahren Kreuzritter im Kampf gegen den Konsumterror. Vergesst Bambule, die Armee der Nikoläuse rückt an, um den Karstadts und Saturns dieser Stadt die Waren zu entwenden.
Verfassungsschützer beobachten eine zunehmende Organisierung dieser Bewegung: Von einer „Autonomen Liga konsumkritischer Weihnachtsmänner“ (ALKW) ist die Rede. Am vergangenen Dienstag hat sich in Barmbek der Hamburger Landesverband gegründet. Der taz hamburg liegt ihr Manifest vor: „Wir beugen uns nicht dem Diktat des Adventssamstags-Einkaufes in der Mönckebergstraße. Wir weigern uns, Jingle-Bells auf kleinen Bontempi-Orgeln zu spielen. Wir machen es nicht mehr mit, uns bei Ikea Plätzchen von glücklichen Kleinfamilien in glücklichen Kleinküchen in den Mund stopfen zu lassen: Wir suchen uns jetzt andere Wege, an die Gaben heranzukommen. Die Welt gehört uns allen und all ihre Produkte auch.“
Zu dumm, dass die Weihnachtsmänner dabei meist so erleuchtet daherkommen, dass sie zumeist noch an der Fassade hängend erwischt werden und die Kriminalitätsstatistik des Innensenators wieder ein bisschen aufhübschen helfen.
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