: Aus O! mach Ach!
Übersetzung ist eine Hexerei: Der Donat Verlag hat eine Neuübertragung der „Carmina Burana“ vorgelegt – eine weniger monumentale Fassung der Liederhandschrift, als Carl Orffs Vertonung, die heute spektakelhaft in Bremen aufgeführt wird
Oh weh: Die Übersetzungskunst hat Probleme. Ihre mit Abstand heikelste Frage lautet: Wie sind emphatische Ausrufe mit möglichst geringem Bedeutungsverlust von Sprache A nach Sprache B zu transportieren? Entgegen volkstümlicher Auffassung sind diese nämlich a) nationalsprachlich bestimmt und b) laut Linguistik nicht inhaltsleer – sondern besitzen maximalen kommunikativen Wert: Es handelt sich um standardisierte Texte – Gefühlsformeln.
In der „Carmina Burana“ wimmelt es von o-, eia- und trillirivos-Rufen. Im gesamten Konvolut, aber auch noch in der Textauswahl, die Carl Orff einst vertonte. Und die ab heute in der Bremer Stadthalle zu begucken ist – natürlich inszeniert, mithilfe, so der Veranstalter,„ monumentaler Bühnenarchitektur für 24 magische Bilder mit Lichtprojektionen und pyrotechnischen Feuereffekten“
Folglich stellt sich dem, der das spätmittelalterliche Liedgut eindeutschen will, die Frage nach den Exklamationen mit Nachdruck. So auch dem Altphilologen Heinz Dieter Schweikert: Im hiesigen Verlagshaus Donat ist, illustriert durch 17 „dem Rhythmus der Texte und der Orffschen Musik“ folgende Zeichnungen seines Sohnes, des Bremer Bildhauers Sebastian Schweikert, das Ergebnis seiner Arbeit erschienen. Darf sich ein ordentlicher Hanseat, der heute oder morgen in die Stadthalle pilgert, dieses Bändchen entgehen lassen?
Klar, er darf. Er sollte es aber nicht. Weniger allerdings der Zeichnungen von Schweikert junior halber, die obgleich wuchtig seltsam unentschlossen wirken.
Schweikert senior aber ist es gelungen, Lesern ohne altphilologisches Vorwissen etwas von der Frische und Lebendigkeit der mittelalterlichen Lieder zu vermitteln. Und sie zugleich der monumentalisierenden Orff-Deutung ein Stück weit zu entziehen. Bei rätselhaften Refrain-Formeln wie Hyria, hyrie, ist sicher nichts zu wollen: Möglich, dass sie immer schon Nonsense-Poetry waren: Vielleicht hätte man auch Jipiie-yeah schreiben können. Atemberaubend aber sind die subtilen Rückungen: Das berühmte „O Fortuna“ etwa, bei Orff ein wahres Klagegebrüll, das die Pyrotechniker der Tournee-Aufführung auf Touren bringt, klingt, von Schweikert eingedeutscht, wieder feinsinnig wie der Urtext. Er nämlich übersetzt: „Ach Glück ...“ Gemerkt? Das ist ein zarter Hauch, ein Seufzer bloß: Schade nur, dass dazu kein Feuerwerk mehr passt.
Benno Schirrmeister
Carmina Burana, heute und morgen, jeweils 20 Uhr, Stadthalle Bremen. Carmina Burana. Neu ins Deutsche übertragen von Heinz-Dieter Schweikert, Donat-Verlag, 95 Seiten, 10 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen