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Der „ewige Vize“ steigt nicht mehr in den Ring

Überraschend verzichtet der Demokrat Al Gore auf eine erneute Kandidatur bei den Präsidentenwahlen 2004

WASHINGTON taz ■ Die Weihnachtsüberraschung ist Al Gore gelungen. Fast genau zwei Jahre nachdem er seine bittere Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 2000 eingestand, verkündete Gore am Sonntag zur besten Sendezeit seinen Verzicht auf eine neue Kandidatur. „Es wäre nicht das Richtige für mich.“

Staunen und Erleichterung waren die ersten Reaktionen. Der „ewige Vize“ hatte vor zwei Monaten ein aufwendiges Comeback mit zahllosen Reden und Interviews gestartet und war wochenlang durchs Land gereist. Nur wenige zweifelten, dass er noch einmal gegen George W. Bush in den Ring steigen würde. Doch vielen Demokraten missfiel der Gedanke, glaubten sie vor allem nach der verlorenen Kongresswahl, dass nur neue Gesichter zum Sieg über den zurzeit ohnehin kaum schlagbar erscheinenden Bush taugen.

Nun geht also ein befreites Aufatmen durch die Partei. Nur im Weißen Haus dürfte man sich grämen. Dort hatten sich die Wahlkampfstrategen schon auf die leichte Beute Gore gefreut. Dieser offenbarte wenig über die Motive seiner Entscheidung. Zwar hätte er noch die Energie für einen neuen Anlauf, sagte er. Aber der anstrengende Wahlkampf sei nicht spurlos an den Demokraten vorbeigegangen. Eine Neuauflage des Duells würde den Blick zu sehr auf die Vergangenheit richten und ihn von der Zukunft ablenken, erklärte Gore.

Damit traf er wohl den Nerv in der Partei. Während seiner PR-Tour wird ihm nicht entgangen sein, dass sich die Begeisterung bei den Demokraten über eine mögliche neue Kandidatur sehr in Grenzen hielt. Nun überschütten ihn alle mit Lob über seine Verdienste – bestes Zeichen, wie froh sie sind, die alte Last los zu sein. Schließlich ist Gore in den Augen vieler Demokraten persönlich dafür verantwortlich, durch seine mangelnde Fähigkeit, die Menschen anzusprechen, das sicher geglaubte Rennen 2000 gegen George W. Bush verbockt zu haben.

Damals bekam Gore zwar eine halbe Million Stimmen mehr als Bush. Den Wahlausgang bestimmte jedoch das Oberste Gericht der USA. Mit fünf zu vier Stimmen entschieden die Richter, die Nachzählungen in Florida zu stoppen.

Nach Gores Rückzieher ist das Kandidatenrennen in der Demokratischen Partei wieder offen. Selten hat es eine solche Vielzahl von Bewerbern gegeben. Zehn Männer, Senatoren, ein Gouverneur und Exgeneral, liebäugeln entweder mit einer Kandidatur oder haben sie öffentlich bekannt gegeben. Endlich darf auch Senator Joseph Lieberman aus Connecticut mitstreiten. Der Anwärter für die Vizepräsidentschaft 2000 wäre bei einer neuen Kandidatur Gores nicht gegen seinen Expartner angetreten.

Ein Jahr, bis zum Beginn des ersten großen Nominierungsparteitages, haben sie nun Zeit, sich zu profilieren, eine riesige Wahlmaschine anzukurbeln und Spenden zu sammeln. Wer am Ende Bushs Herausforderer sein wird, ist derzeit ungewiss. Das Kandidatenspektrum verspricht eine heiße Vorauswahlphase. Es reicht vom industriefreundlichen und kriegsbefürwortenden Lieberman bis zum Gouverneur Howard Dean aus Vermont, der sich weit links positioniert, indem er eine staatliche Krankenversicherung fordert. Den Orientierung suchenden Demokraten bietet sich so die Chance auf den dringend nötigen Wettbewerb politischer Ideen. MICHAEL STRECK

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