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Ein Opfer für den Mammon

Verrat am eigenen Credo? Ausgerechnet das Schauspielhaus schließt Ende April 2003 seine experimentellste Spielstätte, um zu sparen: Das Neue Cinema, das sich als Schnittstelle zwischen Theater und anderen Gattungen zu etablieren begann

von Petra Schellen

Befriedet scheint für‘s erste der Streit zwischen Kultursenatorin Dana Horáková und dem Schauspielhaus-Intendanten Tom Stromberg; zu beklagen ist das erste Opfer: die Spielstätte im Neuen Cinema, über dessen Schließung schon seit Wochen gemunkelt wurde. Ende April soll dort laut Aufsichtsrats-Beschluss vom Montagabend der Spielbetrieb enden. Ein irritierender Zeitpunkt, war doch jüngst noch die Schließung zum Ende der Spielzeit im Sommer geplant. Böswillig, wer darin eine Kurzschluss-Handlung sieht, ausgelöst durch die ständige Zahlen-Debatte der Kultursenatorin, die sich vor allem höhere Auslastungszahlen wünscht.

„Der Spielbetrieb im Neuen Cinema ist leider nicht mehr finanzierbar“, sagt Geschäftsführer Jack Kurfess, dessen Vertrag bis Juli 2007 verlängert wurde. Einige hunderttausend Euro Ersparnis jährlich bringt die Aufgabe des Neuen Cinemas, das latent wohl schon immer zur Disposition stand: „Schon im ursprünglichen Vertrag steht, dass diese Spielstätte nur so lange aufrechterhalten wird, wie sie finanzierbar ist“, sagt Kurfess, der die Aufgabe der kleinen Bühne sehr bedauert.

„Ein Jammer für die Stadt,“ findet auch Immanuel Schipper, künstlerischer Leiter des Neuen Cinemas. „Ich finde es nicht gut, dass das Haus diese Spielstätte schließt. Eine Stadt braucht solch einen Ort, an dem Experimentelles ausprobiert werden kann. Und das Cinema lief seit anderthalb Jahren gut: Wir haben hohe Auslastungszahlen und ziehen monatlich rund 2000 Zuschauer in das kleine Haus. Dieser Ort wird gut angenommen und produziert nicht teurer als die unter Frank Baumbauer betriebene Kantine“, sagt Schipper, dessen Vertrag bis Sommer 2004 läuft und der Abwanderungspläne weder bestätigt noch dementiert.

„Der Theaterlandschaft geht mit dem Neuen Cinema eine spannende Schnittstelle zwischen Theater und anderen Genres verloren. Denn dort wurden nicht nur jährlich zwei Jugendtheater-Produktionen aufgeführt, sondern auch Theaterformen kultiviert, die die Medien Film und Lesung integrieren. Auf der anderen Seite standen in die Musik hineinreichende Projekte und Clubkultur-Elemente“, sagt Schipper, der sich ein bisschen überrollt fühlt. Die Geschäftsführung habe ihm die Schließung des Neuen Cinemas als unumstößlich mitgeteilt, sagt er lakonisch. Er glaube schon, dass die Leitung wisse, was sie mit der Bühne am Steindamm verliere. „Und wenn dies nicht mehr finanzierbar ist, müssen wir uns eben beugen.“

Verhandlungen mit potentiellen Untermietern der Räume, die das Schauspielhaus bis 2005 gemietet hat, laufen jedenfalls schon: Mit Vertretern der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, der HfbK und der Hochschule für Musik und Theater wird derzeit diskutiert – bezüglich der Kosten allerdings recht halbherzig: „Im Prinzip sind wir bereit, die Miete weiter zu tragen“, sagt Kurfess, der sich aber für Neben- und Betriebskosten Entlastung wünscht. Eine andere Variante wäre die rein kommerzielle Vermarktung. „Aber so weit denken wir jetzt noch nicht.“

Im Schauspielhaus-Team hat die Schließung des Neuen Cinemas wenig Begeisterung erzeugt: Zwar hat sich der Betriebsrat nicht gegen die Entscheidung gewehrt, konkret bringt sie aber vier Kündigungen beim technischen Personal: „Einige gehen ins Stammhaus zurück, einige Verträge waren von vornherein an die Bespielung des Neuen Cinemas gebunden“, erklärt Kurfess. Man werde sich künftig auf den Malersaal als einzige Nebenbühne konzentrieren – ein Ort, dessen Profil dem des Neuen Cinemas aber nicht vergleichbar sei, so Schipper: „Im Malersaal wird reines Theater gemacht, Nachwuchsregisseure inszenieren Texte junger Autoren. Das Neue Cinema war eher eine Art Sprungbrett, das zum Malersaal hinführen konnte.“ Und letztlich könne im Neuen Cinema auch mit dem Raum anders experimentiert werden: „Gerade das aktuelle Stück ,Apres-Schi‘, in dem das Cinema zum Wohnzimmer umgebaut wird, zeigt, wie ein solch theatraler Raum wirken kann. “

Ein gravierender Einschnitt, der besonders bedauerlich deshalb ist, weil gerade ein stark auf Experimentelles ausgerichtetes Haus eine Off-Spielstätte dem Sparzwang opfert. Doch die Verarmung geht weiter: „Künftig wird es weniger Gastspiele geben“, sagt Kurfess. Auch die Eigenproduktionen werden zurückgefahren.

Veränderungen, die dem Haus, dessen Profil gerade Akzeptanz zu finden beginnt, einen Teil jener Lebendigkeit entziehen, die zu Beginn von Strombergs Amtszeit so vehement verfochten wurde. Und die früher eintreten als vermutet: „Ich dachte, dass uns für diese Spielzeit noch 200.000 Euro aus den Rücklagen zur Verfügung stehen würden“. Doch die Einnahmen blieben unter dem erhofften Level – wobei das Grundproblem für Kurfess ein strukturelles ist: „Hätte dies Haus – aktuell sind es 1186 – nur 800 Plätze, wäre all dies kein Problem. Aber da wir dieses traditionsreiche Haus nicht umbauen können, werden wir damit leben.“

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