piwik no script img

Relativierung der Schoah

betr.: „Koch sieht ,neuen Stern‘ “, taz vom 13. 12. 02

Möllemann hat antiisraelische Kritik mit antisemitischen Ressentiments in recht subtiler Weise verknüpft und wollte damit bei den Wahlen punkten. Das war in der Tat unerträglich, und die Reaktion der FDP – wenn auch verspätet – ist meines Erachtens in vollem Umfang gerechtfertigt.

Die Äußerungen Kochs haben damit nichts zu tun. Es ist leider relativ normal geworden, die Methoden des politischen Gegners mit Nazi-Methoden gleichzusetzen. Dadurch wird die Shoah relativiert, dadurch werden politische Zusammenhänge verschleiert, und es ist ein wohlfeiles Argument, mit dem man den Gegner außer Gefecht zu setzen glaubt. Wenn man den Bemerkungen glauben würde, dann würden eigentlich in der Welt nur noch Nazis regieren: Bush wendet dieselben Methoden wie Hitler an, die Taliban sind die Nazis von heute, Milošević ist eigentlich auch Hitler und Saddam Hussein sowieso, die Nato sind die Nazis, die wieder mal Belgrad bombardieren wollen, die Israelis führen einen „Vernichtungskrieg“, und Thierse ist Göring, so wie Gorbatschow seinerzeit Goebbels war.

Viele Parallelen werden gezogen, wo es keine Parallelen zu ziehen gibt. Diese Vergleiche mit dem Dritten Reich verharmlosen den deutschen Faschismus und verhöhnen seine Opfer. Es ist ein verdammt schlechter politischer Diskussionsstil, der sich scheinbar immer weiter verbreitet. Und die Äußerungen von Roland Koch sind da keine Ausnahme. Aber sie stehen nicht auf derselben Stufe wie die von Jürgen Möllemann und sind getrennt zu bewerten: Sie spiegeln einen schlechten Diskussionsstil wider, der leider Schule gemacht hat, aber sie haben keine wirklich antisemitische Komponente. Koch does not go Möllemann, und hören wir endlich auf, überall Parallelen zu sehen.

THOMAS WALTER, Fontainebleau, Frankreich

Ein Säckel voller Taler, klar, das muss nach Roland-Koch’schem Weltbild einen irgendwie gearteten jüdischen Hintergrund haben. Koch kennt sich bekanntlich auch mit „jüdischen Vermächtnissen“ bestens aus.

Aber was ist mit der CDU insgesamt? Unter Wolfgang Schäuble hat die CDU Deutschland sich noch für die „jüdischen Vermächtnisse“ bei den jüdischen Mitbürgern entschuldigt. Die Vorsitzende Merkel dagegen ist abgetaucht, vielleicht fehlt ihr im (trüben braunen) Wasser der Durchblick. Haben die Nazi-Vergleiche durch CDU/CSU-Spitzen etwa Methode? Kohls Thierse-Göring-Vergleich, Stölzls Vergleich des rot-grünen Wahlsiegs mit dem NSDAP-Sieg bei der Reichstagswahl 1932 und Hubers böses Wort der „Pogromstimmung“ gegen Reiche. Herrscht in der CDU/CSU jetzt Konsens, dass der politische Gegner auf brutalstmögliche Art mit Nazi-Vergleichen diffamiert werden darf?

STEFFEN LUIK, Stuttgart

Wenn den Reichen in Deutschland nach Herrn Kochs gesellschaftspolitischen Verständnis ein ähnliches Schicksal widerfährt wie den Juden im Dritten Reich, dann glaubt man zuerst nicht seinen Ohren zu trauen. Wird einem aber von vielerlei Seite bestätigt, dass dieser Vergleich tatsächlich von jemandem angestellt wurde, so denkt man bei dem Redner eher an einen volltrunkenen Stammtischpatrioten oder an einen gefährlichen wie rücksichtslosen Hasardeur.

Von einem Ministerpräsidenten sollte man etwas anderes erwarten, ja, es ist sogar etwas anderes einzufordern, und zwar unmissverständlich. Wo bleibt die Entlassung? Solche Äußerungen fügen dem deutschen Volk einen ungeheuren Schaden zu.

Jemand, der, wie Herr Koch, lange in der Politik tätig ist, der berechnet, was er sagt. Aber welch wirklicher Geist beherrscht sein Innenleben, wenn er heute die Reichen zu Juden erklärt und demzufolge die Menschen mit solidarischem Gedankengut zu Tätern? Dann begeht er gefährliche Brandstifterei. Die Gewerkschaften, die SPD, die Grünen, die Journalisten, die Arbeitslosen, das sind also die Täter, wie damals? Für solch ein ungenügendes Geschichtsverständnis bekäme jeder Schüler eine glatte „6“. Man möchte Herrn Koch zurufen: „Wo waren Sie damals während des Geschichtsunterrichtes? Wissen Sie, was die Täter im Dritten Reich ihren Opfern angetan haben? Kennen Sie, Herr Koch, einen Juden, den man in ein Konzentrationslager gesteckt und ermordet hat?“ Aber bei Herrn Koch drücken die politischen Weggefährten gerne ein Auge zu. Man schätzt ihn. „Ausrutscher“, „Versehen“ und am Ende: „Schwamm drüber, schnell, denn Lebbe geht weiter.“ Fragt sich nur, wie? STEFAN DERNBACH, Siegen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen