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Hüftsteife Spurenelemente

Alles, aber kein Revival: Das Londoner Elektronik-Duo „Swayzak“ fertigt aus nordenglischem Wochenend-Hedonismus und klirrend kalten Achtziger-Referenzen eine kenntnisreiche Lesart von tanzbarem Wave

von JULIAN WEBER

Zeit, sich wieder den Nacken auszurasieren und den allgemeinen Überdruss mit aschfalen Gesichtern zur Schau zu tragen. Hallo dunkle Gemeinde, Gothic rides to town again, und zwar in der Gestalt des englischen Duos Swayzak.

Ihr drittes, im September bei den Berlinern vom Studio K7 veröffentlichtes Album Dirty Dancing passt perfekt zur kalten Jahreszeit: Musik wie ein Nachthauch im ewigen Eis. So leblos wie brutal und konsequent. Zwischen Anleihen aus Electroclash, Acid-House und Minimal Techno haben Swayzak Resonanzraum für Gastvocals, der von Claire Dietrich, Klaus Kotai und Adult ganz nüchtern ausgenutzt wird.

Die Stimmung zwischen Gesang und Musik ist allzeit gereizt. Nicht nur, dass Pessimismus und Negation aus den tiefsten Achtzigern als Thema von Songs heutzutage wieder voll O.K. regeln, es wird auch mit entsprechender Grabesstimme zur Musik – oder besser dagegen – gesungen. Kostprobe: „I felt so unnecessary“, „I talk to you never again“, „I feel so cold“, „I dance alone“, „–Everything‘s wrong“. Und auf die Stimmen ist böser Hall gelegt worden. Damit es auch wirklich gruselig klingt.

Aber Lachen, das geht immer noch: Schon der Bandname Swayzak ist eine Abwandlung des Nachnamens von Patrick Swayze, seines Zeichens dauergrinsender B-Movie-Darsteller und Posterboy der Achtziger. Den Durchbruch schaffte er mit Dirty Dancing, aber er spielte unter anderem auch in Kathryn Bigelows Surferdrama Gefährliche Brandung und war in der TV-Serie Fackeln im Sturm zu sehen; Im letztgenannten US-Bürgerkriegsdrama stellte Swayze den armen Südstaatenfarmer Orrin May dar.

Swayzak alias David Brown und James Taylor sind Filmfans, kommen eigentlich aus dem reichen Süden, aus London, haben aber ein typisch nordenglisches Soundverständnis. Hart aber herzlich geht es zu, oben im Norden von Albion, wenn von Freitagnacht bis Sonntagmorgen mit zugekniffenen Augen getanzt wird. Dann darf Musik nicht esoterisch sein, dann muss sie knallen, um den grauen Alltag vergessen zu machen. In Titeln wie „The Punk Era“ und „In The Car Crash“ spielen Swayzak mit diesem nordenglischen Verständnis von Pop. Diesem komischen Lokalpatriotismus, der aus der Armut und den stark ausgeprägten Klassenunterschieden geboren wurde und in jedem Ton „Wir lassen uns nicht unterkriegen!“ sagt.

Was vor Rave in Nordengland kam, legen Swayzak gerne in ihren DJ-Sets auf: Human League, New Order und Crispy Ambulance. Factory Records und so. Spurenelemente dieser hüftsteifen Zeit finden sich wiederum in der Musik von Swayzak, die alles ist, aber kein Revival. Eher fertigt das Duo eine neue Version der Vergangenheit an: Gothic-Wave mit einem messerscharfen Beat unterlegt, der über die Möglichkeiten von Dub-Techno bestens Bescheid weiß. Das klingt dann überhaupt nicht so glamourös und camp wie damals in der Hacienda in Manchester. Sondern eher wie das Rütteln am verrosteten Tor der Ruine jener Legende von einem Club. Mit steif gefrorenen Händen, versteht sich.

mit KoweSix, Benjamin Wild, Meta 83: Freitag, 20.12., 22 Uhr, GUM Club

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