Zurück auf Neustart

Besonnenheit, Mäßigung und Understatement: Zu Besuch bei einigen Berliner Internet-Unternehmen, die nach dem Crash der New Economy einfach weitermachen. Denn trotz ungewisser Zukunftsaussichten sind sie überzeugt: „Mit Ausdauer und Demut bringt man die guten Ideen durch jede Krise“

Irgendwann geht es dann auch wieder aufwärts – mal früher, mal später

von TOBIAS ASMUTH

Man kann wohl sagen, dass es für den Unternehmer Dirk Buddensiek gerade gut läuft. Sicher: Deutschland steckt in der Krise, die Steuern steigen und der Konsum schmiert ab. Aber Buddensiek kann die allgemeine Depression ziemlich egal sein, es geht bergauf, seine Umsätze wachsen und er stellt wieder Leute ein. Buddensiek ist Chef von Aperto, einer von ihm schon 1995 gegründeten Internetagentur in Berlin-Mitte. Internet? Agentur? Das klingt eigentlich nach Neuem Markt und Pleite.

Tatsächlich stand auch Aperto vor einem Jahr vor dem Aus. Die Fusion mit der schwedischen IT-Firma Cell Network, die internationale Aufträge bringen sollte, war gescheitert. Als dann der deutsche Markt zusammenbrach und reihenweise Start-ups in Konkurs gingen, trat der Chef auf die Bremse. Aperto schrumpfte von knapp 150 auf nur noch 65 Mitarbeiter. Tische und Stühle wurden ausrangiert, Computer an die entlassenen Mitarbeiter verkauft. Im Loft der Agentur in einer ehemaligen Pianofabrik gibt es nun viel Platz. „Trotzdem sind wir in Berlin nach den Problemen bei Pixelpark bald die größte Agentur“, glaubt Buddensiek. Heute sei Aperto auf geschäftliche Risiken gut vorbereitet: „Ich bin vorsichtiger geworden, denn wer weiß schon, wie die Zukunft aussieht?“

Vor zwei Jahren wussten das noch ziemlich viele Leute. Die Zukunft war damals eine Dienstleistung, die von den Stars der New Economy mal eben zwischen zwei Börsenrallyes mitverkauft wurde. Es war die Zeit, als Traditionsunternehmen hastig wenige Monate alte Onlineshops für Millionenbeträge übernahmen, als EM.TV oder Kabel New Media noch nicht bankrott waren, sondern über Nacht ihre Umsätze verdoppelten, als in der Hysterie des Booms Studenten bei Internettauschbörsen anheuerten, um schnell viel Geld zu verdienen. Wer nicht in der New Economy arbeitete, war hoffnungslos von gestern. Zum Lifestyle gehörte es, gerne viel zu arbeiten – auch bei Aperto. Dafür gab es ein üppiges Frühstücksbufett, kostenlose Massagen und auf dem Dach der Agentur wurden Qui-Gong-Kurse angeboten.

Das gemeinsame Frühstück hat die Krise überlebt, und wer sich massieren lassen möchte, kann das in seiner Pause immer noch tun – er muss jetzt nur den Masseur selbst bezahlen. Als andere in der Euphorie immer noch auf Expansion setzten, hat der 37 Jahre alte Wirtschaftsingenieur Buddensiek den geplanten Börsengang abgeblasen. Der Internetpionier glaubt nicht mehr an die Heilsversprechen der New Economy. Er will mit dem Netz nicht mehr die Welt verändern, er möchte nur noch Geschäfte machen: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Buddensiek mag den Satz von Helmut Schmidt. Seine Firma gestaltet weiter die Homepages von alten Kunden wie Siemens oder Coca-Cola. Aperto wird dieses Jahr mit einem kleinen Gewinn abschließen. Das Internet ist nicht tot, sagt Buddensiek, „es wird nur langsam erwachsen“.

Zur neuen bescheidenen New Economy gehören auch Maik Dorl und Marten Huisinga. Man kann sich die beiden Besitzer der Softwarefirma Projektron in ihren verwaschenen Jeans und Pullovern nur schwer mit Prosecco-Kelch und dicker Davidoff auf einer Kick-off-Party vorstellen, mit der die Start-ups früher ihre Geschäftsgründungen feierten. Dorl und Huisinga finanzierten sich mit dem Geld, das ihre Familien entbehren konnten, und waren entsprechend bescheiden. Man zog in einen grauen Betonklotz in der wenig schicken Gneisenaustraße in Kreuzberg, in dem früher einmal eine Filiale der Barmer Ersatzkasse untergebracht war. Die Büromöbel wurden gebraucht gekauft – aus der Insolvenzmasse eines Start-ups.

Am Anfang dachten die beiden Existenzgründer, sie seien vielleicht zu spät gekommen: doch ihre Software, mit der man über das Netz unabhängig vom Ort Geschäfte abwickeln kann, verkauft sich gut. „Unser Produkt hilft Unternehmen, Geld zu sparen“, sagt Dorl: „Mittlerweile beschäftigen wir zwölf Mitarbeiter – und wir werden weiter wachsen.“ Das aber soll ohne Risikokapital geschehen: „Wir brauchen keine Millionen, um 600 Quadratmeter große Büros zu mieten mit Designerschreibtischen, auf denen italienische Leuchten stehen und eine Telefonanlage für 200 000 Euro.“

Die laute Glitzerwelt der Internetträumer ist in Kreuzberg weit weg. Im Treppenhaus tut ein altersschwacher Zwei-Personen-Aufzug Dienst, das Büro verdunkeln Holzeinbauschränke und auf dem Boden liegt ein grauer Industrieteppich. „Das Understatement passt ganz gut zu unserer Lage“, sagt Dorl.“ Für Werbung ist kein Geld da, zufriedene Kunden empfehlen Projektron anderen Unternehmen weiter. „Es gibt uns, weil wir gut sind“, erklärt Huizinga, „und wir sind gut, weil wir nur auf unser Know-how vertrauen.“ Maik Dorl hat zuerst Geoinformatik studiert und dann in IT-Firmen gearbeitet, Marten Huizinga ist promovierter Physiker und leitete Multimediaprojekte an der Freien Universität.

Beide haben keine Angst, ausgerechnet jetzt ein Unternehmen zu leiten, während alle Zeitungen nur von Pleiten berichten oder vor dem nächsten Technologie-Crash warnen. Die Internetwelt soll ausgerechnet zu einer Zeit untergehen, in der Unternehmen das erste Mal mit dem Netz Gewinn machen? Ob der Buchhändler Amazon, das Auktionshaus eBay, die Suchmaschine Google, der Reisedienst Hotels.com – sie alle schreiben schwarze Zahlen. Das Internet wird Teil einer modernen Dienstleistungsgesellschaft sein, da ist sich Huizinga sicher: „Also machen wir einfach weiter.“

Einfach weitermachen will man auch bei Ableton. Im nächsten Jahr soll die Gewinnzone erreicht werden. Daran glaubt Jan Bohl fest. Bohl sowieso, denn Bohl ist der Vorstand für den Marketing- und Sales-Bereich von Ableton. „Wir haben bisher über 7.000 Lizenzen unserer Musik-Software „Live“ verkauft. Davon fast 80 Prozent in die USA und Japan“, referiert Bohl gut gelaunt die Charts der vergangenen beiden Jahre. Aber das soll erst der Anfang sein. Die technische Entwicklung ist rasant, virtuelle Instrumente und Gesang sollen bald zu den Soundfiles dazukommen. Vor allem viele Toningenieure und DJs arbeiten mit „Live“.

Als Ableton Ende 1999 in einem kleinen Kellerbüro gegründet wurde, begann die New Economy gerade heiß zu laufen. Trotzdem entwickelte das kleine Team aus Musikern, Informatikern und Marketingleuten erst einmal in aller Ruhe einen Businessplan. Damit gewann Ableton nicht nur einen Preis beim Gründerwettbewerb Multimedia, der zur Teilnahme am Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums berechtigte. „Der Plan hat dafür gesorgt, dass wir nicht Millionen Risikokapital verpulvert haben, sondern vernünftig gewachsen sind“, sagt Bohl.

Mittlerweile arbeiten 25 Leute für Ableton – und umgezogen ist man natürlich auch. Vom Keller ging es in den zweiten Stock eines Hinterhofs am Rosa-Luxemburg-Platz: Hohe, helle Räume, auf den Tischen stehen Laptops neben Monitoren, in einem Regal liegen Magazine, die Sound News, Raveline, DJ-Times heißen. In den nächsten Monaten will auch Ableton weiter wachsen. Es gibt noch Platz für einige Tische. Dabei will Bohl die Kosten im Blick behalten. „Unser wichtigstes Motto heißt: Mäßigung.“ Das klingt wenig sexy. Manchmal vermisst daher auch der Controller Bohl die Begeisterung der Leute, sich die Welt einfach so einzurichten, wie man es morgens beim Latte macchiatto beschlossen hatte. Tatsächlich war die New Economy eine Zeit, in der alles möglich schien. Heute ein Unternehmen zu gründen und morgen an die Börse zu gehen – für die Stars der Szene die einfachste Sache der Welt. Alles eine Frage des Timings. Eben Gründerzeit.

Aus. Vorbei. Was aber bleibt von der New Economy? Vielleicht der Mut von Menschen, sich mit einer Idee selbstständig zu machen? Trotz Krise wurden auch 2002 mehr Gewerbe an- als abgemeldet. Braucht das Internet also nur ein wenig Zeit? Im Abschwung sieht Jan Bohl auch eine Chance: „Mit Ausdauer und Demut bringt man die guten Ideen durch jede Krise.“ Irgendwann geht es dann auch wieder aufwärts – mal früher, mal später.