: Plastiktiere zwischen Frauenbrüsten
Die groteske Sinnlichkeit der Mariola Brillowska. Das Museum Junge Kunst in Frankfurt (Oder) stellt die Künstlerin mit ihrem „Snupiekult Future Art Project for Mother & Baby“ vor. Rote und grüne Komplementärfarben beruhigen die wunden Augen. Eine Welt voll Liebe mit revolutionären Absichten
von MEIKE JANSEN
Kaum eine Künstlerin provoziert so absurd, sexy und zugleich poetisch wie Mariola Brillowska. Nicht nur in ihren Arbeiten. „Pfeifen ihr die Bauarbeiter auf der Straße nicht hinterher“, so Armin Hauer, Kurator ihrer Ausstellung „Snupiekult“ im Museum für Junge Kunst in Frankfurt (Oder), „denkt sie, etwas falsch gemacht zu haben.“ Ist der knatschrote Minirock womöglich nicht kurz genug?
In ihren Bildern, Installationen, Filmen und Erzählungen verbindet die in Sopot, dem polnischen Las Vegas, geborene Mariola Brillowska gerne poppigen Kitsch mit Situationen vollkommen artifizieller Verwirrung. Die Wahl-Hamburgerin seit 1981 reflektiert dabei die klischeehaften Strukturen patriarchialischer Betriebsamkeit und entlarvt gewichtige politische Theorien als oberflächliche Lösungsansätze. Brillowska karikiert allerdings nicht. Sie ist auch nicht nett. Sie ist gemein. Ihre flächigen Figuren sind menschliche Mutationen einer degenerierten Gesellschaft; die gesichtslosen Köpfe zumeist nur mit ein bis zwei Löchern ausgestattet. Die Körper immerhin glänzen zuweilen mit wirkungsvoll herausgearbeiteten sekundären Geschlechtsmerkmalen, die Spaß an der freien Liebe, aber – ob ihrer Deformationen – auch Krankheit und Tod verheißen.
In Frankfurt präsentiert die Künstlerin ihre bisher ausgefeilteste Zukunftsvision des Snupiekults, an dem sie schon seit einigen Jahren arbeitet. Die Ausstellung umfasst zahlreiche Filme, Bilder, wie Dokumentationen ihrer Radiosendungen, Installationen und Texte. Bereits in der Kapelle, dem ersten von vier thematisch strukturierten Räumen, konfrontiert die Brillowska die BesucherInnen mit dem gesamten Ausmaß ihres eigenen, komplex verschachtelten Universums. In einer Nische glitzert hinter Perlenvorhängen ein Altar. Der Kult, dem hier gehuldigt wird, geht auf eine feministische Sekte in Polen zurück, die sich mit dem Großziehen von Plastiktieren beschäftigt. Durch religiöse Rituale werden diese, alternativ zum herkömmlichen Nachwuchs, zwischen Frauenbrüsten zum Leben erweckt. Ziel der Snupiekult-Sekte ist es, die deutsche Verfassung durch absurde Gesetzgebung, terroristische Aktionen und Polnisch als Amtssprache zu unterwandern. Die daraus hervorgehende kulturelle Revolution soll einen Weltbildwandel herbeiführen. Kurz: eine Welt voll Liebe.
Im selben Raum, in dem der Schrein steht, wird auch dreier Frauen gedacht, die einst den Freitod wählten. Schlagzeilenartig wird mit schwarzer Schrift auf farbenfrohem Bildergrund etwa die Geschichte von Lola B. erzählt, die sich vergiftete, um ihrem Mann Angst einzujagen. Die Realisierung des wahren Dramas von Depression und Einsamkeit liegt bei den BetrachterInnen selbst. Nichts deutet auf das tatsächliche Ausmaß der Tragödie hin. Selbst das Nachwort der Mutter bleibt melancholisches Geplapper.
In den folgenden Räumen Praxis, Disco und Renaissance – alles Synonyme für den Kunstbetrieb – sind ergänzende Darstellungen zu finden, die Brillowskas Weltbild immer kleinteiliger und komplexer darstellen, sie ins Absurde führen. An allen Orten werden Heilige wie Huren verehrt und Querverbindungen in die Kunstgeschichte geschlagen. Ob verpflasterte Rubensengel oder mit Spritzen gespickte Körper, die an die Werke Michelangelos erinnern, das künstlerische Personal wird zusehends dem neuen Schönheitsideal der Brillowska angeglichen. Und inmitten des trashigem Ambientes thront eine kopflose Übermutter, an deren Rocksaum zig kleine, tanzende und singende Puppen hängen, während ihre Lebenspenderin Geld scheißt.
Wenngleich Brillowskas Arbeiten in ihrer Comichaftigkeit auf den ersten Blick chaotisch und überladen wirken, erscheint die Präsentation recht aufgeräumt. Schreiende, zufällige Farbkombinationen sucht man vergebens. Konkrete Hinweise auf folkloristische Tendenzen sind nicht zu finden. Die saftigen Komplementärfarben Rot und Grün bestimmen die Ausstellung und beruhigen die Augen, die in der Masse von fliegenden Pizzen und flackernden Lichtern wund zu werden drohen. Eine Zuordnung der Farbtöne nach weiblichem und männlichem Geschlecht findet allerdings nicht statt. So brechen die Ordnungsversuche fortlaufend in sich zusammen und entlarven nicht nur das zweigeschlechtliche Prinzip als reinen Schein. Was am Ende bleibt, ist eine mit Bildern und poetischen Fragmenten gespickte Zukunftsvision, die ebenso aussichtslos wie blendend verwirrend ist.
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