: Gegen die Regeln der Bürgerlichkeit
Eine Chronistin des Nachtlebens der 20er-Jahre: Das Verborgene Museum zeigt Lithografien der Malerin Lou Albert-Lasard.Ihre Arbeiten dokumentieren das Leben der Boheme am Montmartre – und ihren Aufenthalt im Internierungslager 1940
von KATJA REISSNER
In den Zeichnungen von Lou Albert-Lasard tanzt Josephine Baker dem Besucher gleich mehrmals entgegen. Der Star hatte in den Zwanzigerjahren spektakuläre Auftritte in Berlin, und Lou Albert-Lasard war sofort von ihr fasziniert. Und so wie die Baker in einem ihrer Chansons Paris zu ihrer Liebe erklärte, so wurde die Stadt auch für die Malerin zum künstlerischen Identifikationsort.
Daher steht auch ihre Mappe „Montmartre“ Mittelpunkt der Ausstellung , die das Verborgene Museum Lou Albert-Lasard gewidmet hat. 1925 war die Mappe erstmals in der Galerie Flechtheim gezeigt worden und hatte die Künstlerin damals recht bekannt gemacht.
Zuvor hatte sie sich schon von zwei künstlerischen Metropolen inspirieren lassen, ist in München mit Marianne Werefkin und dem Blauen Reiter zusammengekommen und in Berlin mit den russischen Avantgardisten und der Novembergruppe. Ihre bürgerliche Ehe lässt sie 1918 hinter sich, hat schon vor der Scheidung eine Beziehung zu dem Dichter Rainer Maria Rilke und seit 1919 eine Ateliergemeinschaft mit dem Maler Arthur Segal in Berlin.
Doch während ihrer ausgedehnten Europareisen, in den Jahren 1910–1914, findet sie erstmals Geschmack an Paris. Durch das Erbe ihres Vaters finanziell frei geworden, zieht sie mit ihrer Tochter Ingo 1928 dorthin. Die Tochter, selbst Künstlerin, ist es auch, die Albert-Lasard bis zu ihrem Tod begleitet.
Die Montmartre-Mappe bezieht ihre Inspiration aus dem Pariser Nachtleben in den Bars, Tanzlokalen und Theatern. Doch diese Arbeiten, farbige Lithograpien, entstehen in Berlin; die Künstlerin wird eine ähnlich vitale Serie in ihrer Pariser Zeit nicht mehr wiederholen.
Es ist, als würden ihre Blätter den goldenen Zwanzigerjahren Berlins vorhalten wollen, dass Paris allein die wahre Boheme kultiviert hat: Sie zeigen frivole und erotische Gestalten; die Begegnungen zwischen den Geschlechtern variieren frei, scheinen alle Regeln der Bürgerlichkeit beiseite zu lassen, nur die Attraktivität in den kurzen Episoden des nächtlichen Spektakels zählt. Die Körper sind leicht bekleidet und quellen in dicht gedrängte Szenarien hinein, scheinen sich heiß in den Räumen auszubreiten, animiert durch voyeuristische Blicke und Gegenblicke.
Lou-Lasard stellt hier Spannung her, indem sie die Andeutung von Volumen und offene fragmentarische Flächenumrisse gegeneinander setzt. Der Blick auf die Aquarelle Cézannes scheint ebenso Voraussetzung zu sein wie die Kenntnis des Kubismus und damit das Wissen um vom Gegenstand abgelöste Bildstrukturen seit der französischen Avantgarde. Doch die Hauptsache ist nicht Stilkonsequenz, sondern die direkte Mitteilung des Geschehens.
Die Ausstellung bietet als Kontrast zur Montmatre-Folge mit Arbeiten aus einer gänzlich anderen Lebenssituation. 1940 wird die Künstlerin sieben Monate lang mit ihrer Tochter im französischen Lager Gurs interniert. Sie, die jüdischer Herkunft ist, gilt den Franzosen als feindliche Deutsche.
Das stetige Zeichnen, vor allem der Frauen im Lager, wird zu einer Strategie des Überlebens. Albert-Lasard stellt das Elend, zum Beispiel in der Krankenbaracke dar, besteht aber zugleich darauf, dass die Frauen auch äußerlich auf sich halten und ihre Würde und auch Attraktivität nicht gänzlich preisgeben. Der pralle Duktus von zuvor ist hier zum sparsamen und verhaltenen Federstrich geworden, verzichtet aber nicht auf Details, die den individuellen Stil der Einzelnen zeigen.
Bis 9. 2., geschlossen 23. 12.–5. 1., Verborgenes Museum, Schlüterstr. 70, Do.–Fr. 15–19 Uhr, Sa.–So. 12–16 Uhr
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