: Der Witz der Verzweifelten
Zeig mir deine Softskills, bitte! In den Theaterstücken von Martin Heckmanns leiden die Figuren am ständigen Zwang zur Arbeit am eigenen Marktwert. Heckmanns schreibt aus Erfahrung: Seit er zum gefragten Bühnenautor avanciert ist, ähnelt seine Situation schließlich immer mehr der seiner Figuren
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Man kann nicht nicht kommunizieren. An diese Erkenntnis von Ludwig Wittgenstein erinnern die Stücke von Martin Heckmanns. Seine Figuren leiden an der Sprache und ihrer marktorientierten Besetzung ebenso wie an der Sprachlosigkeit dort, wo sie ganz authentisch und bei sich sein wollen. Man kann nicht nicht partizipieren an der Umwandlung von Gefühlen und Beziehungen in Gegenstände der Evaluierung und effektiven Bemessung.
Davon handeln bisher alle Stücke des jungen Autors. Sie können dabei vom Verstummen und abgebrochenen Redeanfängen angefüllt sein, wie sein erster Monolog „Finnisch oder ich möchte dich vielleicht berühren“. Oder sie können in Wortkaskaden explodieren wie in dem Stück „Schieß doch Kaufhaus“, mit dem der Autor bisher die größte Aufmerksamkeit gewann. In der Jahresumfrage der Zeitschrift Theater Heute avancierte er damit zum meist genannten Nachwuchsautor.
„Wie geht Smalltalk?“, fragt Ernst verunsichert Bengt, Ella und Felix, die mit ihm vor den Türen einer Consulting-Firma auf den Beginn des Bewerbungsgesprächs warten. „4 Millionen Türen“ ist der Arbeitstitel des Stücks, das Heckmanns zusammen mit dem Koautor Thomas Melle, dem Regiestudenten Eike Hannemann und vier Schauspielern am bat-Studiotheater in Berlin entwickelt hat. In vier Wochen: Dann kam die erste Aufführung. „Das ist das Spannende am Schreiben für Theater“, sagt Martin Heckmanns, „dass der Text sich in der Zusammenarbeit weiterentwickelt und verschiedene Lesarten sichtbar werden.“
„4 Millionen Türen“ spielt dort, wo keiner genau weiß, ob er „arbeitslos“ oder „doch eigentlich Unternehmer“ ist. Jedes Gespräch wird zur Trainingssituation; Beleidigungen und üble Anmache tarnen sich als rhetorische Übung, jeder Anflug von Sympathie wird gleich als Indiz der Teamfähigkeit gewertet. „Ich, eine Einserpsychologin, immer die Beste in Integrationsfähigkeit – im Umgang mit Idioten“, stöhnt Ella, die lächelnde Verbindlichkeit, über ihre Konkurrenten, als sie gerade mal allein ist.
Noch ist „4 Millionen Türen“ kein Stück aus einem Guss; aber gerade deshalb lässt sich der Wandel der Figuren von den Dramatis Personae des postmodernen Trauerspiels zur nachfrageorientierten Ichbaustelle nachvollziehen. Zwei Modelle von Theater prallen aufeinander: die Geschichte einer persönlichen Rache, in der es um den Tod einer jungen Frau, um Fragen von Schuld und Verantwortung geht, wird platt gewalzt von den Geschichten der Konkurrenz, der Selbstbeobachtung, der Arbeit am eigenen Marktwert. Ganz kurz nur lassen sich die Personen von ihrer Betroffenheit aus dem Kurs bringen, dann überstrahlt das Image-Lifting wieder jede Spur von Charakter.
„Der Verkaufsaspekt ist anstrengend“, sagt Martin Heckmanns beim Gespräch in einer Berliner Eckbar und meint damit nicht nur seine Figuren, sondern auch die Situation – junger Autor im Interview – selbst. Der Autor und seine Stücke tendieren in diesem Moment unmerklich zur Kongruenz. „Man lernt Dramaturgen kennen, mögliche Interessenten und entwickelt plötzlich ein Geschäftsgebaren und weiß dann nicht mehr so genau, in welchem Gespräch stehe ich jetzt? Geht es um geschäftliche oder persönliche Beziehungen? Auch bei Journalisten finde ich das schwierig“, sagt er, trinkt und schweigt. Plötzlich fühlt man sich ertappt bei der Fahndung nach porträttauglichen Persönlichkeitsmerkmalen, die sich schick in den Text einflechten lassen.
So ähnlich muss es seinen Figuren gehen, in denen die Instanzen der Selbstbeobachtung und Redekontrolle hypertroph geworden sind.
„Zeig mir deine Softskills“ ist ein unheimlicher Satz aus „Schieß doch Kaufhaus“, der aus den weichen Gaben von Charme, Ausstrahlung und Überzeugungskraft plötzlich etwas wie eine scharf geladene Waffe macht. Als Martin Heckmanns noch Philosophie, Komparatistik und Geschichte in Bielefeld und Berlin studierte, tauchte dieser Begriff immer häufiger auf. „Wenn Unternehmen überhaupt an Geisteswissenschaftlern interessiert sind, dann wollen sie deren Softskills haben: Kommunikation, Offenheit, Eloquenz. Der Begriff hat etwas Perverses, er trägt eine Leistungsanforderung in jedes Gespräch“, erinnert er sich an die Rollenspiele, die Wirtschafts- und Geisteswissenschaftler zusammentreiben sollten.
In „Schieß doch Kaufhaus“, das als ein Auftragswerk zum Thema Globalisierung entstand, hat der Ekel über diese Konnotationen die Figuren fest im Griff. „Dein Protest ist talkshowtauglich“, werfen sich die Protagonisten vor, die verzweifelt eine Reibungsfläche und Formen der Verweigerung suchen. Sie haben jedes Vertrauen in sich selbst und in die Möglichkeit, in der Matrix der Sprache noch so etwas wie Wahrhaftigkeit finden zu können, verloren: „Das heißt, gerade das, was ich als mein Allernatürlichstes empfinde, ist in Wirklichkeit das Allerkonstruierteste an mir, das eigentlich Allerfremdeste.“ Das führt sie schließlich zu Sehnsüchten von zweifelhaft utopischem Gehalt, dem Projekt Auswehen: „Dass niemand nie mehr Kinder macht und Menschheit so zum Ende kommt.“ Das ist die Globalisierung der Depression.
„Globalisierung – das ist kein Thema, das sofort theatrale Situationen evoziert“, erinnert sich Heckmanns, der schon vor dem Stückauftrag Attac-Kongresse besucht hatte. „Aber dann fand ich in der Überforderung durch das Thema einen Zugang: dass die Figuren überfordert sind, dass das Thema nicht theaterkompatibel ist, dass in einer hohen Geschwindigkeit Text ausgesondert wird und so die Theaterform aufbricht.“ Als Zuschauer hält man diese Überforderung durch den Witz der Verzweifelten aus – „… dauerhaft die ganze Welt im Kopf, das ist mir irgendwie, ich meine, das schaff ich nicht, ich meine, ich muss auch noch kochen …“. Zudem hilft die große Musikalität der Sprache. Die Inszenierung durch Simone Blattner setzte denn auch mit Erfolg auf eine choreografische Organisation der Form.
Vier Häuser beteiligten sich an der Produktion von „Schieß doch Kaufhaus“ (das Theaterhaus Jena, das TIF in Dresden, die Sophiensæle Berlin und das Thalia Theater Hamburg), und das ist kein Zufall. Junge Autoren sind wichtig geworden für das Projekt, neue Beweglichkeit und schnelles Reaktionsvermögen in eine kulturelle Institution zu bringen, die den Ruf des Musealen fürchtet. Die Theater stecken in der finanziellen Klemme und unter dem Druck, ihre eigene Bedeutung zu klären. Gerade kleinere Häuser versuchen in dieser Situation, inhaltliche Aktualität und Anschluss an politische Diskussionen über die Zusammenarbeit mit Autoren zu erhalten.
Schon wieder eine Erwartungshaltung mit Druck zur Imagebildung. „Das kann zur Anstrengung werden, den Feuilletonthemen nachzuarbeiten“, sagt Heckmanns. „Da musste es letztes Jahr um Gentechnik gehen, dieses Jahr um den Islam. Wenn man da aufgefordert wird, muss man entweder prophetisch arbeiten oder so aktuell, dass es schwer ist, noch auf die literarische Qualität zu achten. Da entstehen bisweilen Thesentexte, die kaum noch an theatralischen Formen interessiert sind. Es bedeutet aber auch eine Chance für junge Autoren, überhaupt wahrgenommen zu werden.“
Vor allem aber: Es wartet immer jemand auf diese Stücke, die durchlässig für den Puls der Zeit sein sollen. Der Zeitdruck und die Zusammenarbeit mit anderen am Theater motivieren und schaffen ein Gerüst. Die Produktionsbedingungen des Textes nähern sich dem ein wenig an, wovon in ihnen die Rede ist – und in diesem selbstreferenziellen Gestus liegt wiederum ein Potenzial ihres Witzes.
Schon sein erstes Stück, für das er gleich den Kulturförderpreis des Kreises Herford erhielt und das zurzeit am Schauspiel Frankfurt läuft, entstand vor vier Jahren als Monolog für einen Freund, den Schauspieler Christian Banzhaf. Hält man das Manuskript von „Finnisch oder ich möchte dich vielleicht berühren“ in der Hand, sieht man schon den schmalen Textsäulen und dem leeren Platz auf den Seiten an, dass es hier um ein Tasten nach der Sprache geht. Ein junger Mann stellt sich die erste Begegnung mit einer Unbekannten vor, und alle Gesprächsanfänge und Situationen zerbröseln ihm nicht nur im Konjunktiv, sondern mehr noch, weil er sein Gesprächsverhalten so gewöhnlich findet.
Nach Heckmanns-Stücken bewegt man sich eine Weile durch die Sprache, als wäre sie aus Glas.
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