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Unsichtbare Wolken

Wie gemein kann ein Schwarm von Nanorobotern wirklich sein? – In Michael Crichtons jüngstem Wissenschaftsthriller „Beute“ ist das Böse zuletzt doch nur wieder eine Projektion des Menschen

von ANDREAS MERKEL

Die Romane von Michael Crichton gehorchen noch der guten alten Drehbuchregel, die Handlung müsse in vier Sätzen beschreibbar sein. „Ein Forschungslabor mitten in der Wüste von Nevada“, heißt es da knapp im Klappentext, „die Wissenschaftler trauen sich nicht mehr aus dem Sicherheitstrakt heraus, denn draußen lauert der Tod. Mutierte Mikroroboter jagen Kaninchen, Kojoten und schließlich auch Menschen. Der Biotechnologe Jack, extra eingeflogen, um den Killerschwarm zu vernichten, muss sehr schnell feststellen, dass seine Mission fast hoffnungslos ist …“

Bevor Jack Forman in Crichtons neuem Roman „Beute“ allerdings zum Helden werden kann, ist er erst mal arbeitslos und Hausmann: kümmert sich um die Familie, kocht seinen Kinder Spaghetti (weil da nie gemotzt wird) und sieht seiner Frau dabei zu, wie die im Management einer Biotech-Firma Karriere macht. Auf den ersten Seiten bietet uns der Autor einen erschütternden Einblick in die Vorhölle des kalifornischen Alltags. In der IT-Branche gelten Arbeitszeiten von bis zu 100 Stunden pro Woche. Gekündigt wird einem von inkompetenten, aber intriganten Kollegen, die in der Betriebshierarchie über einem stehen. Und entfremdet fühlt man sich angesichts all dessen nicht nur von sich selbst, sondern auch von der Ehefrau.

Aber dann geht es – leider – überhaupt erst richtig los! Denn Crichton, der studierte Mediziner, Bestsellerautor, Fernsehserienentwickler („Emergency Room“) und so weiter, hat natürlich andere Anliegen als eine simple Sozialstudie. Erstens: die verdammten Filmrechte zu verkaufen. (Abgehakt, sie gingen für 5 Millionen Dollar an die Twentieth Century Fox.) Zweitens: die verdammte Menschheit zu retten!

Man könne davon ausgehen, schreibt also Crichton im Vorwort des Romans, dass es in nicht zu ferner Zukunft zu einer Kollision unseres „von Selbsttäuschung bestimmten Leichtsinns mit unserer wachsenden technologischen Macht“ kommen werde. Und zwar „an der Nahtstelle zwischen Nanotechnologie, Biotechnologie und Computertechnologie […] Alle drei Bereiche vermögen sich selbst reproduzierende Einheiten in die Umwelt zu entlassen.“

Im Roman wird der eben noch arbeitslose Jack in die Wüste Nevadas zu jenen mutierten Mikrorobotern geschickt, die eigentlich mit implantierten Kameras noch nie da gewesene Bilder von Tieren aufnehmen können. Allerdings ist einiges schief gelaufen. Die so genannten Nanobots organisieren und reproduzieren sich in freier Wildbahn zu immer aggressiveren Fluggeschwadern. Für Jack Forman ein klarer Fall von so genanntem emergentem Verhalten, wie es bei hochkomplexen Computerprogrammen auftreten kann. Durch die Interaktion zahlloser auszuführender Befehle „funktionieren“ sie auf eine Weise, die selbst deren eigene Programmierer nicht mehr vorhersehen können.

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gab Michael Crichton zu, sein Hauptproblem beim Schreiben sei es diesmal gewesen, den schwierigen Stoff – eine im Grunde unsichtbare Wolken voller Nanopartikel, wissenschaftlich zudem noch reine Zukunftsmusik – nicht nur anschaulich, sondern auch bedrohlich darstellbar zu machen.

Dafür müssen sich seine Nanobots allerdings nicht nur zu menschlichen Gestalten formieren, sondern sie haben aus dramaturgischen Gründen auch noch jene allzu menschlichen Eigenschaften wie „dumm“ und „böse“ zu adaptieren. Was dann letztlich immer wieder doch bloß auf den Betrachter selbst zurückfällt. Das Böse ist nichts weiter als eine menschliche Projektion und Reaktion.

So gut der durch und durch glaubwürdige Anfang von „Beute“ ist, desto ärgerlicher stürzt die Romanhandlung bald in das leider völlig „unemergente“, also vorhersehbare Terminator-Action-Genre voller Hubschrauber und Aliens ab. Eine Herausforderung allein für die Special-Effects-Abteilung Hollywoods, die sich schon mal Gedanken machen kann. Irgendwann hetzt der Ich-Erzähler – der Held ist schließlich Informatiker – nur noch wie in einem Videospiel und mit mehreren Leben ausgestattet von einem Handlungslevel zum nächsten.

Viel Zeit bleibt ihm nicht. Es geht um jede Minute, wie schon die Kapitelüberschriften bei Crichton unmissverständlich klarmachen: „6. Tag, 8.12 Uhr“! Beim Leser bleibt nach der Lektüre vor allem ein schwindeliges Grundgefühl von ständig zunehmender, allumfassender Beschleunigung hängen.

Was den Roman „Beute“ am Ende vielleicht trotz allem empfehlenswert macht, ist dabei eher jene ebenso ernüchternde wie deprimierende Vorahnung, dass es inmitten all der geschäftigen Hektik längst nichts mehr gibt, was zu retten sich lohnen könnte. Denn um keinen der Protagonisten, wie Crichton sie beschreibt, ist es wirklich schade. Zu ihrer Charakterisierung genügen dem Autor in der Regel eine berufliche Funktion, der soziale Status und irgendeine Macke oder ein ausgefallenes T-Shirt, auf dem „Träum weiter!“ steht.

Damit scheint Michael Crichton den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Er selbst, bekannte der Romanautor, lese schon lange keine Romane mehr – reine Zeitverschwendung und sowieso sei dort ja alles nur ausgedacht.

Michael Crichton: „Beute (Prey)“. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel u. Klaus Timmermann. Karl Blessing, München 2002, 448 Seiten, 24 €

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