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Die Sachsen leiden an ihren Königen

Erst gestaltete sich die Thronfolge von „König Kurt“ Biedenkopf schwierig. Nun erschauern die Sachsen vor ihrem neuerlichen Königsdrama – die Urenkel des letzten echten Königs Friedrich August ringen um die Erbfolge. Streit im Hause der Wettiner

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

Wie ein Menetekel mag den Augenzeugen der Fluttag des 13. August in der Dresdner Hofkirche erschienen sein. Schwimmend erhoben sich aus der Gruft derer von Wettin, wo mancher Sachsenkönig liegt, die Sarkophage. 900 Jahre Dynastie begannen in den Sälen zu wandern. Sargdeckel öffneten sich wie zu einem Mahnruf: „Wir sind noch da!“ Scheinbar unbesieglich erhob sich der Geist des einstigen sächsischen Königshauses. Die Untertanen, das Volk, die sächsische Nation, haben das Trauma von 1918 noch nicht verwunden. Damals ließ sie der vorerst letzte Monarch „Friedrich August“ allein – mit dem Fluch „Macht eiern Dregg alleene!“

Deshalb bewegt in diesem trüben Advent in Sachsen nichts so sehr wie die blaublütige Frage nach der Thronfolge im Geisterkönigshaus. Im Hause der Wettiner streiten sich Friedrich Augusts Urenkel Rüdiger und Alexander um den Titel des „Prinzen von Sachsen“.

Für die Sachsen bedeutet das, schon wieder ein Nachfolgetrauma zu erleben. Das ihrer parlamentarischen Demokratie haben sie gerade hinter sich, als der Hoffnungskönig Kurt der Starke einem Komplott zum Opfer fiel. Kurt Biedenkopf hatte die unerfüllten Sehnsüchte nach Zepter und Krone für ein Jahrzehnt stillen können. Aber Nachfolger Georg dem Gerissenen traut man das nicht zu – so mildbrädtig er sich während des großen Wassers als Nachfolger auch gerierte.

Darum ist es so wichtig, ob nun Alexander oder doch Rüdiger der ächte, wahre und legitime Thronfolger des Hauses Wettin ist. Nur mit Mühe war anlässlich der Abdankung Biedenkopfs der direkte Übergang zur konstitutionellen Monarchie verhindert worden. Im Februar, beim 70. Jahrestag der Gruftlegung des letzten August, hatten sich die Wettiner nachdrücklich in Erinnerung gerufen. Königliche Hoheit Maria Emanuel, Markgraf von Meißen und Herzog zu Sachsen, mangels aktueller Krone stets als Chef des Hauses Wettin bezeichnet, stellte klar: Sein Großvater August habe lediglich für seine Person 1918 auf den Thron verzichtet – nicht aber für die Wettiner. Mit 800 Jahren Regierungsverantwortung könne man sich auch heute vorstellen, Verantwortung zu übernehmen. Das Volk huldigte, 47 Schützenvereine standen Spalier – und hinterher gab’s Schweinshaxe.

Allein das Image der Königsfamilie könnte 100.000 Jobs nach Sachsen bringen, pflichtete die Industrie- und Handelskammer Sachsen bei. Sogar PDS-Fraktionschef Peter Porsch billigte den Wettinern eine wichtige Funktion zu – bei der Förderung des Fremdenverkehrs. Georg Milbradt, selbst auf dem Sprung in die Staatskanzlei, stellte damals in gewohnter Schläue einen Beraterposten in Aussicht.

Man war schließlich gewarnt. Schon auf den Montagsdemos 1990 war Maria Emanuels Bruder Albert herumgetapst und hatte sich den Sachsen angeboten, falls sie es wünschten. Sie wünschten noch nicht laut genug. Auch 2002 noch nicht, obschon der „Freundeskreis des Hauses Wettin“ unentwegt an der Option Monarchie festhält.

Wer als Sprecher des Hauses Wettin fungiert, ist derweil nicht klar. Das liegt am Thronfolgestreit, dem dritten Trauma sächsischer Geschichte seit der wettinischen Teilung zwischen Ernst und Albert anno 1485. Soll Alexander oder Rüdiger als künftiger Herrscher über das neue Reich gelten? Maria Emanuel, mit Gemahlin Anastasia Louise kinderlos geblieben, hat den mittlerweile 49-jährigen Neffen Alexander nämlich nur adoptiert! 1997, beim letzten Familientreffen in Dresden, hatte dem niemand widersprochen. Vor zwei Jahren aber meldete Rüdiger seine Ansprüche an – als direkter Abkomme. Der Clan unterstützt ihn und sorgt damit erneut für Krach im Fürstenhaus.

Doch Rüdiger ist nach Hausgesetz nicht sauber blaublütig. Papa Timo war mit einer Metzgerstochter verheiratet, hatte danach noch zwei weitere Bürgerliche und überdies Alkohol- und Seelenprobleme. Kein Einzelfall in der eher nach Einfalt denn nach Adel ausschauenden Enkelgeneration des letzten August. Jetzt müssen sich die verzankten Urenkel einigen, wen die Sachsen als künftigen Herrscher anhimmeln dürfen.

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