: Massenflucht vor den Milizen
Im Nordosten des Kongo spitzt sich der Machtkampf zwischen Warlords zu. Nach der Offensive einer von Libyen unterstützten Gruppe sind zehntausende auf der Flucht
BERLIN taz ■ Eine Massenflucht setzt im Nordosten des Kongo ein, nachdem eine Koalition verschiedener Rebellenarmeen kurz vor der Einnahme der 300.000 Einwohner zählenden Stadt Beni steht. Beni, ein Handelsknotenpunkt unweit der ugandischen Grenze, ist Hauptstadt der RCD-ML (Kongolesische Sammlung für Demokratie/Befreiungsbewegung), deren Anführer Mbuya Nyamwisi mit der Regierung von Joseph Kabila in Kinshasa verbündet ist. Weil der RCD-ML nachgesagt wird, massiv von Kabila aufgerüstet zu werden, haben sich mehrere Gruppen gegen sie verbündet. Sie standen gestern noch etwa 20 Kilometer nördlich von Beni. Hilfswerke berichteten, es seien schätzungsweise 70.000 Menschen vor ihnen auf der Flucht.
Die Bewohner dieser Gegend sind einiges gewohnt, aber diese Kampfhandlungen sind offenbar besonders brutal. „Man nennt sie die Auslöscher, weil sie alles auf ihrem Weg zerstören“, heißt es über die auf Beni vorrückenden Kämpfer in einem Bericht eines Arztes im Ort Oicha, wo sich zehntausende Flüchtlinge versammelt haben. Der in Oicha aktive Evangelische Entwicklungsdienst berichtet unter Berufung auf Augenzeugen: „Sie haben auf ihrem Weg bereits eine Missionsstation zerstört und töten alle. Sie vergewaltigen die Frauen, und den Männern werden die Genitalien abgeschnitten, bevor sie getötet werden.“ Der katholische Bischof der Region, Mgr. Melchisedek, behauptete sogar, Gefangene würden „gezwungen, Teile von Leichen zu essen“.
Anführer der Angreifer ist die nordkongolesische Rebellenbewegung MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung), die den Norden des Kongo kontrolliert und zuletzt massiv von Libyen aufgerüstet wurde. Ihre Kämpfer stammen zumeist aus der Heimatregion des früheren Diktators Mobutu in Nordwestkongo und sind im Osten äußerst unbeliebt. Verbündet mit der MLC ist die RCD-N (Kongolesische Sammlung für Nationale Demokratie) des Mineralienhändlers Roger Lumbala, die große Teile des Nordostkongo beherrscht.
Der UN-Sicherheitsrat rief am Heiligabend zu einer Einstellung der Kämpfe auf. Alle beteiligten Gruppen sind Unterzeichner des Kongo-Friedensvertrags vom 17. Dezember, der den Kongokrieg mit einer Allparteienregierung beenden soll. Die Kämpfe um Beni erscheinen somit als Ausdruck eines sich zuspitzenden Machtkampfes zwischen der neu erstarkten MLC und der Regierung Kabila, die nach Rundfunkberichten der bedrängten RCD-ML in Beni 20 Offiziere und drei Flugzeuge geschickt haben soll.
Der Krieg im Nordostkongo hat nach UN-Angaben allein seit August knapp 500.000 Menschen in die Flucht getrieben. Milizionäre zerstörten im September das größte Krankenhaus der Region im Ort Nyankunde und ermordeten dabei hunderte von Menschen, zum Teil in ihren Betten. Die Überlebenden zogen wochenlang durch den Busch. Einige landeten in Oicha, wo der Krieg sie jetzt wieder einholt.
DOMINIC JOHNSON
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