: Wider den Kirchturm
Eine Region, die weiß was sie hat: Hannover und sein Umland zahlen den Zoo gemeinsam und fahren mit Investoren in Kleinbussen über Land
Es ist ein bisschen wie im Märchen. Hannover, eine Stadt mit Problemen wie andere auch, hat ein Umland, das sich zu 40 Prozent an den Sozialhilfekosten beteiligt, den Zoo mitfinanziert, dafür schnappt der Stadtkämmerer nicht gleich ein, wenn Investoren ein schönes Plätzchen jenseits der Stadtgrenze gefunden haben. Warum gelingt in Hannover, was in Bremen so schwer scheint? Wir fragten Axel Priebs, den Ersten Regionsrat und stellvertretenden Präsidenten der Region Hannover. Bis Herbst 1994 war er beim damaligen Bremer Senator für Umwelt und Stadtentwicklung zuständig für die gemeinsame Landesplanung Bremen und Niedersachsen und für Stadt-Umland-Kontakte.
taz: Was hat das Umland von der Region Hannover, was die Kernstadt von der Region?Priebs: Alle haben gemeinsam etwas davon: Die Außendarstellung ist sehr viel besser, Probleme, die man gemeinsam hat, kann man auch gemeinsam im Regionalparlament klären. Das Umland kann in Teilbereichen der Stadt mitreden und die Stadt hat jetzt eine solidarische Region, mit der gemeinsam die Sozialhilfekosten finanziert werden.
Wo darf das Umland denn mitreden?In allen Bereichen, in denen die Region zuständig ist, das reicht von Regionalplanung und Naherholung über die Wirtschaftsförderung, den ganzen Umweltbereich und den ÖPNV bis hin zu Sozial- und Jugendhilfe, Krankenhäusern und Berufsschulen.
Wo hat den die Zusammenarbeit beispielhaft gut geklappt?Wir haben ein gemeinsames Berufsschulkonzept, in dem wir alles neu geordnet und regionale Kompetenzzentren gegründet haben. So fahren jetzt eben alle angehenden Frisöre und Frisörinnen nach Springe. Einen Standort in der Stadt konnten wir dadurch einsparen. Ab 1. Januar sind die Krankenhäuser und die Abfallbetriebe in regionaler Trägerschaft.
Mit welchen Einsparungen rechnen Sie insgesamt?Es gibt den politischen Beschluss, dass keine Leute entlassen werden. Alle Personaleinsparungen müssen sich also über Fluktuation ergeben. Aber das Potential ist enorm. Bestes Beispiel ist das Gesundheitsamt. Es gab hier eines der Stadt und hundert Meter weiter eines des Kreises. Die haben genau dasselbe gemacht, jeder hatte seine teuren Ärzte. Das ist jetzt zu hundert Prozent zusammengelegt. Ähnliches gilt für viele Umweltaufgaben. Für die Stadt wurden Einsparungen von 25 Millionen Euro berechnet, von denen jetzt circa 20 Millionen durch die Region über Personalabbau erwirtschaftet werden müssen.
Sie kennen Bremen aus einer Ihrer vorigen Berufsstationen. Warum ist die Regionsbildung hier so schwierig? Es hat in Hannover ja schon seit 1963 mit dem Großraumverband ein gemeinsames Dach gegeben. Das betraf zwar nur einige Kernaufgaben, aber die Gewohnheit war da und auch die Erkenntnis, dass man Probleme gemeinsam besser löst. Ein schönes Beispiel ist der Zoo, der früher eine Einrichtung der Stadt war, seit 1994 aber gemeinsam finanziert wird. Im Übrigen ist es doch so: Zwischen allen großen Städten und dem Umland herrscht ein gespanntes Verhältnis. Mal stärker, mal weniger stark. Um Bremen ist durch die Stadtstaatensituation ohnehin eine höhere Mauer gezogen. Es ist aber auch so, dass Bremen sein Umland zu wenig ernst genommen hat oder darauf bestanden hat, erstmal muss es uns gut gehen. Dafür hat sich das Umland, als es ihm dann teilweise besser ging als der Stadt, gerächt.
Wie funktioniert die gemeinsame Wirtschaftsförderung?Wir haben erst neulich wieder einen interessierten Investor in den Kleinbus gepackt, haben vier Standorte angesteuert, die für das Unternehmen optimal waren. Sie haben sich für einen Standort entschieden, der knapp außerhalb von Hannover liegt. Aber alle haben gesagt, wunderbar, wichtig ist, dass wir überhaupt einen neuen Arbeitgeber in der Region haben.
Wer kassiert denn nun die Gewerbesteuer? Natürlich bekommt die Standort-Gemeinde die Gewerbesteuer, aber der Kämmerer von Hannover sieht das, seit wir diese Region haben, gelassener, weil er mit seinen sozialen Lasten ja nicht mehr allein dasteht.
In welcher Größenordnung beteiligt sich das Umland an den sozialen Kosten?Die Stadt Hannover ist natürlich finanzkräftig und zahlt deswegen 60 Prozent, das Umland 40. Das ist gerecht, denn die Umlagegrundsätze gehen nach Steuerkraft. Wenn es einer Umlandgemeinde schlecht geht, weil ein Betrieb wegbricht, zahlt sie weniger. Wenn es Hannover gut geht, weil etwa Conti große Gewinne macht, zahlt sie mehr Geld.
Könne Sie sich dadurch in Hannover auch der über alle Städte hereinbrechenden Krise entziehen?Begrenzt. Wir können ja auch kein Geld drucken. Aber dadurch, dass wir intern besser organisiert sind, können wir ein paar Dinge abfedern.
Was raten Sie Bremen?Bremen muss, auch um im internationalen Wettbewerb gut aufgestellt zu sein, als Region auftreten. Und wenn man keine verbindlichen Handlungsstrukturen schafft, hat man keine Plattform für Dinge, die Geld kosten oder langfristige Absprachen nötig machen. Und um auf die Potentiale des Wirtschaftsraumes Bremen aufmerksam zu machen, muss man Achim oder Delmenhorst mit einbeziehen. Wir haben schon 1992/93 Gutachten über eine verbindliche Zusammenarbeit von Bremen und Niedersachsen erstellen lassen. Wir waren damals optimistischer, wie schnell ein verbindlicher Regionalverband erreicht werden könnte. Aber es geht ja peu a peu in die richtige Richtung. Und es gibt dazu auch keine Alternative. Einen Verkehrsverbund gibt es ja schon. Man könnte aber beispielsweise eine von allen als regional bedeutsam akzeptierte Einrichtung – wie in Hannover eben den Zoo – in regionale Trägerschaft und Finanzierung übernehmen. Da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Man muss auch nicht von Anfang an die perfekte Lösung finden. Nur verharren ist verkehrt. Fragen: Elke Heyduck
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