Sachlichkeit und Nostalgie

Sein Stil passte zu Richard „American Gigolo“ Gere, Giorgio Armani und den ganzen Achtzigerjahren: Am Donnerstag ist der Mode- und Prominentenfotograf Herb Ritts im Alter von 50 Jahren gestorben

von BRIGITTE WERNEBURG

Ihm sind einige veritable Ikonen gelungen – und das in dem unübersichtlichen und schwierigen Bereich der Mode- und Leute-Fotografie. Bilder, die einem sofort vor Augen stehen, wenn man den Namen Herb Ritts hört.

Bilder, wie die Aufnahme von Liz Taylor nach ihrer Gehirnoperation. Ritts zeigt sie im Profil, mit makelloser, faltenloser Haut. Nur in den weißen Haaren, die der 65-Jährigen nachgewachsen sind, zeigt sich kaum merklich noch immer die Spur der Operationsnarbe. Oder die Aufnahme von Madonna, wo sie ihren Kopf mit den kurzen blonden Haaren tief in den Nacken gelegt hat, während die schwarze Lederjacke über ihre bloßen Schultern heruntergerutscht ist. Es ist diese endlose Linie des Halses ab Brusthöhe bis zum Kinn, die sich in Madonnas Profil und Haaren fortsetzt, deren Schnitt eine raffinierte Mischung aus Marilyns Locken und der Tolle von Elvis darstellt, die sich unwiderruflich in der Erinnerung festsetzte.

Warum eigentlich ist man sich so sicher, dass dieses Bild von Herb Ritts ist, wundert es einen – und nicht von Bruce Weber, dem mit Aufnahmen von Madonna viel häufiger assoziierten Fotografen? Es liegt daran, möchte man behaupten, dass Ritts der radikalere Fotograf ist. Bei Weber scheint die Inszenierung des Stars das Bild auszumachen. Bei Ritts dominiert die Suche nach der fotografisch gültigen Form das Bild. Und da darf die nackte Schulter von Madonna auch plötzlich merkwürdig spitz wirken und eben diese leise Irritation hervorrufen, die notwendig ist, damit man diese endlose, nie gesehene Halslinie zu würdigen weiß; damit man sie nie mehr vergisst.

Ritts’ Wille zur Form dokumentiert sich auch im Schwarzweiß seiner Fotografie. Farbbilder von ihm, die es durchaus gibt, erinnert man eigentlich nicht. Einen Touch Neue Sachlichkeit wie auch eine Prise Nostalgie an die große Zeit der schwarzweißen Magazinfotografie trifft man vor allem in seinen Modefotografien an. Sein Stil passte perfekt zu seinem Beginn in den 80er-Jahren, zur Mode von Georgio Armani, der in seinen Anzügen wiederum August Sanders Bauernburschen auf dem Weg zu Tanz zitierte. Er passte zum „American Gigolo“ Richard Gere, mit dessen Karriere auch Ritts’ Aufstieg begann. 1978 hat er den noch unbekannten Schauspieler porträtiert, als Gere kurze Zeit später zum Star wurde, machte diese Fotoserie Ritts schlagartig berühmt.

Männer, das fällt auf, sind bei Ritts besonders schön. All diese fantastischen Muskeln! Etwa bei „Fred“ aus der „Bodyshop-Serie“ von 1984, diesem unglaublich dreisten Versinnbildlichung des erotischen Proletariers mit nacktem Oberköper, ölverschmiert, schwer bepackt mit zwei großen Reifen. Aber auch am Strand, am Meer, mit den merkwürdigen Naturformen von ausgebleichtem, ausgewaschenem, angeschwemmtem Baumwerk, sehen seine Protagonisten gut aus. Wer in Ritts’ Körperkult – wie etwa den Fotografien der Sprinterin Jackie Joyner Kersee – kalifornische Wurzeln entdeckt, die in seiner Bildauffassung mit einer seltsam europäischen Bildungsbeflissenheit zusammengehen, liegt nicht ganz falsch.

Ritts, der 1952 in Los Angeles geboren wurde, machte an der Ostküste, am Bard-College (wo etwa Hannah Arendt mit ihrem Mann Heinrich Blücher lebte, und wo sich die Band Steely Dan formierte), seinen BA in Wirtschaftswissenschaften und Kunstgeschichte, bevor er im Möbelunternehmen seiner Familie zu arbeiten begann. Fotografieren war zunächst nur ein Hobby. Nach seinem erfolgreichen Start mit den Gere-Porträts arbeitete er für alle relevanten Magazine wie Harper’s Bazaar, Vogue, Elle oder den Rolling Stone, er fotografierte Plattencover und gewann für seine Musikvideos mit Janet Jackson und Chris Isaak jeweils den MTV Award. Vorgestern starb Herb Ritts in Los Angeles überraschend an den Folgen einer Lungenentzündung.